Der letzte Weg
Es ist dunkel, regnerisch und kalt. Sie ist alleine. Alleine in ihrer kleinen Wohnung.
Auf dem Tisch glimmt eine Zigarette im Aschenbecher. Überall liegen Fotos herum.
Neben dem Aschenbecher steht ein halbvolles Glas Wein. Im Hintergrund läuft
leise der Fernseher. Musikvideos flackern über dem Schirm.
Sie sitzt zusammen gekauert auf ihrer Couch, auf dem Schoss ein Kissen in Herzchenform.
Ihr Blick ist starr und kalt. Sie schaut ab und zu aufs Handy, aber niemand ruft sie an.
Sie greift sich einen Stapel Fotos und schaut sie sich eins nach dem anderen an.
Eine Träne rinnt über ihre faden Wangen. Ihre Augen haben längst nicht mehr den Glanz, den
sie mal hatten. Vor ein paar Jahren leuchteten ihre grünen Augen, Sie war voller Elan. Voller
Tatendrang. Sie begann eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie hatte ihr Leben im Griff,
hatte viele Freunde und Bekannte, Menschen die sie gerade auf den Fotos wieder gesehen hat.
Mit denen sie immer viel Zeit verbrachte. Sie war immer für jeden da, hörte zu, half
allen bei Problemen und hatte immer Spaß am Leben. Sie war immer Glücklich, wenn
sie Ihren Freunden helfen konnte. Sie hatte immer auf alles eine Antwort.
Eine Antwort, die sie gerade in diesem Moment auch zu suchen scheint. Sie greift zum Glas
und nippt daran.
Die Zigarette im Aschenbecher ist längst verglimmt. Ihr Blick geht wieder aufs Handy.
Langsam greift sie zur halbvollen Weinflasche und füllt Ihr Glas erneut auf.
In der rechten Hand hat sie einen Brief ihres Arbeitgebers, ein Schreiben, welches sie sehr
mitgenommen hatte. Eine Therapie soll sie machen, eine Stationäre Therapie. Sie soll sich
Endlich ihren Problemen stellen, ihren Problemen mit dem Gewichtsverlust.
Beurlaubt ist sie bis zur Vollständigen Genesung, steht in diesem Brief.
Sie hat diesen Brief wahrscheinlich schon Zehnmal gelesen. Sie soll eine Therapie machen,
gerade sie, eine Frau, die immer für andere da war, eine Frau, die scheinbar immer mit
ihren eigenen Problemen klar kam. Sie schließt langsam Ihre Hand, wobei der Brief
dabei zerknittert. Langsam legt sie diesen Brief auf den Tisch und greift nach ihren
Zigaretten. Sie nimmt sich eine aus der Schachtel und zündet diese an. Ihre Hände
sind blass, blass wie der ganze Körper. Ein leichtes Zittern ist zu sehen. Ihre Hand geht
zur Brust, an der an einer langen Kette ein Silberner Anhänger ist, ein Kreuz. Initialen
sind in diesem Kreuz graviert. Diese Kette hatte sie vor Jahren von ihrem Freund bekommen
und seit dem nie abgelegt. Ihre große Liebe, sie waren 4 Jahre zusammen. Sie hat heute
noch Albträume von diesem schrecklichen Unfall. Sieht immer wieder die Bilder des
verunglückten Autos vor sich. Heute genau vor sechs Monaten ist es passiert. Er war zu
schnell, hieß es, viel zu schnell für die kleine enge Kurve. Sie war heute Morgen an der
Unglücksstelle und hat wieder eine Kerze aufgestellt und frische Blumen hingelegt. So wie
sie das schon sehr oft gemacht hat. Ihr Blick geht wieder zum Handy, das Display zeigt
keinerlei Anrufe oder Nachrichten an, schon seit Monaten nicht mehr. Sie nimmt das Handy
und schaltet es aus und legt es wieder zurück auf den Tisch. Sie schaut auf die Uhr, es ist halb
drei Uhr Nachts. Sie ist nicht müde, obwohl sie schon seit Monaten nicht mehr richtig
geschlafen hatte. Sie schaut zum Fotostapel und nimmt sich ein bestimmtes Bild heraus, ein
Bild, auf dem ihr Freund zu sehen ist. Langsam dreht sie das Bild herum. Auf der Rückseite
ist ein kleiner Text zu sehen. Ein handgeschriebener Text. Es ist ein Versprechen ihres
Freundes, immer für sie da zu sein. Ihr Augen sind jetzt sehr glasig, tränen rollen langsam
über ihre hervorstehenden Wangenknochen. Sie sagt kein einziges Wort, aber ihre Augen
sprechen Bände. Langsam legt sie das Foto vor sich auf den Tisch. Sie nimmt einen Umschlag
aus ihrer Tasche. Einen Umschlag, in dem sich kein Brief befindet. Ein Umschlag der voll mit
kleinen weißen Tabletten ist. Langsam schüttet sie diese in ihr Weinglas. Die Tabletten
lösen sich schnell in dem Wein auf. Sie rührt mit Ihrem Zeigefinger die Tabletten um,
langsam wird der Wein etwas klarer, die Tabletten haben sich fast vollständig aufgelöst.
Sie nimmt ihren Finger aus dem Glas und streicht mit der Fingerkuppe über das Bild ihres
Freundes. Ein kleines Herz ist zu erkennen. Gemalt mit Wein. Sie nimmt das herzförmige
Kissen von ihrem Schoss und legt es langsam neben sich auf die Couch. Das Bild von ihrem
Freund legt sie auf dieses Kissen. Mit der linken Hand umschling sie fest den Silbernen
Anhänger Ihrer Kette. Sie umschlingt diesen so fest, das ihre Adern in der Hand sehr weit
heraustreten. Mit der anderen Hand nimmt sie das Weinglas und führt es langsam zu ihrem
Mund. Ihr Blick geht zum Foto auf dem Kissen. Sie trinkt das Glas auf einmal aus.
Langsam stellt sie das Weinglas vor sich auf dem Tisch ab.
Sie legt sich völlig wortlos auf die Couch, den Kopf langsam auf das Kissen, direkt neben
dem Foto. Die linke Hand immer noch den Anhänger fest umschlingend.
Sie küsst sehr vorsichtig das Foto. Sie schließt ihre Augen. Wenige Minuten später öffnet sich
langsam die linke Hand und gibt den Silbernen Anhänger wieder frei. Ihre Augen sind
geschlossen und ihr Gesichtsausdruck strahlt Liebe und Glück aus.
Sie ist den Weg gegangen,
den Weg, den sie für sich als letzten Weg gewählt hatte.
geschrieben von Frank Höpfner
euch hat die geschichte gefallen und ihr wollt kontakt zu frank aufnehmen dan schreibt ihm einfach eine mail, er wird sich freuen. E-mail: frank-hoepfner@web.de