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  • PlaudereckeDatum05.04.2006 18:50
    Foren-Beitrag von Sunshine im Thema Plauderecke

    hallo liebe gäste wünsche euch noch einen schönen



  • PlaudereckeDatum04.04.2006 11:55
    Foren-Beitrag von Sunshine im Thema Plauderecke

    allen gästen einen schönen



  • Das BegräbnisDatum10.03.2006 19:40
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Das Begräbnis

    Er stand inmitten dem Meer aus Tränen und Trauer. Sein Gesicht war bleich und die Ringe unter seinen Augen waren so dunkel wie sein Anzug. Die Haare waren ungekämmt und ungewaschen, erinnerten an ein Weizenfeld in das der Sturm gefahren war. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und er hatte sie tief in seinen Hosentaschen vergraben. Er konnte kaum noch atmen, wie ein eiserner Gurt schnürte die Trauer seine Brust zu. Den Blick hatte er gesenkt und mit seinen Gedanken war er auf der Reise in seinen Erinnerungen an sie.
    Von der Zeremonie bekam er nichts mit, nur hin und wieder riss ihn das laute Wehklagen der anderen aus seinen Hirngespinsten. Doch das Unglück der anderen kümmerte ihn nur wenig.
    Er konnte nur an Andrea denken. Die Zeit mit ihr war, im Nachhinein betrachtet, die schönste Zeit seines Lebens gewesen. Er hatte schon viele Frauen gehabt, sie aber war die schönste von allen. Er hatte sie geliebt, doch das hatte er erst begriffen, als sie nicht mehr da war. Verzweifelt versuchte er sie in Gedanken wieder zu fassen. In seinem Kopf geisterten aber nur Bildfetzen von ihr herum. Ihr wunderhübsches Gesicht, ihr wundervolles Lachen. Plötzlich war ihr Antlitz unerwartet vor Schmerzen verzerrt. Dann wieder ihr perfekter Körper, ihre göttlichen Brüste. Sie bewegte sich so geschmeidig, wie sich eine Frau nur bewegen konnte. Ohne Vorwarnung zappelte ihr Körper wie wild, wie in Panik, als wollte er sich gegen drohende Gefahr wehren.
    Als der Sarg mit einem dumpfen Geräusch an seinem endgültigen Ziel, dem Boden des Grabes, ankam, war er plötzlich wieder in der Wirklichkeit. Er blickte in die Menge. Der Schmerz über den Verlust hatte tiefe Furchen in ihren Gesichtern hinterlassen. Ihre Augen schienen so tot wie der Körper von Andrea zu sein. Einer nach dem anderen erwies Andrea nun die letzte Ehre. Jeder warf Erde und seine mitgebrachten Blumen in das Grab. Ein kläglicher Versuch die peinigenden Schmerzen unter der Erde zu begraben. Beim Verlassen der Trauerstätte gingen sie an ihm vorüber, doch keiner würdigte ihn auch nur eines Blickes. Jeder hatte von ihm und Andrea gewusst, gekannt hatte ihn aber keiner von ihnen wirklich. Als nach einiger Zeit dann alle den Friedhof verlassen hatten, stellte er sich noch einmal allein an ihr Grab, um ihr gebührend Lebe Wohl zu sagen. Unvorbereitet wurde von der Trauer übermannt, sie kam über ihn wie plötzlicher Schlaganfall. Tränen liefen in Strömen aus seinen Augen und benetzten Andreas letzte Ruhestätte. Er zitterte am ganzen Leib. Von seelischen Schmerzen gepeinigt schwankte er hin und her, bis er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Er stürzte auf seine Knie nieder und vergrub seine Hände in der noch frischen Erde. Die schmerzenden Erinnerungen und die quälende Gewissheit, dass er Andrea nie wieder sehen würde, ließen ihn fast verrückt werden. Er stieß einen lauten Schrei aus, der die Menschen außerhalb des Friedhofes noch zusammenzucken ließ. Speichel rann unkontrolliert aus seinem Mund und vermischte sich mit den Tränen zu einem Gebräu endloser Trauer. Er schlug sich mit der Faust selbst auf den Kopf, riss sich seine Haare büschelweise aus und schrie voll Zorn mit sich selbst.
    Warum habe ich mich dieses eine Mal nicht beherrschen können?
    Warum habe ich sie nicht am Leben gelassen…?


    geschrieben von Wolfgang Mayr

    euch hat die geschichte gefallen und wollt kontakt zu wolfgang auf nehmen dann schreibt ihm einfach eine mail er wird sich freuen. E-mail: king_the_ram@yahoo.de


  • Top 30Datum10.03.2006 19:20
    Thema von Sunshine im Forum Top 30
    hallo ihr lieben,

    hier werdet ihr jetzt jede woche die top 30 rein bekommen.

    ich wünsche euch viel spaß beim nach lesen.

    lg sunshine

  • UnfallDatum07.03.2006 10:59
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Unfall

    Ich stehe am Fenster. Eisblumen bluehen an den Raendern, groesser und schoener als Zuhause- und das im Oktober. Wenn ich meinen Daumen lange genug gegen die Innenseite der Fensterscheibe presse, schmelzen die Blumen an der Aussenseite. Sobald ich jedoch den Finger wieder wegnehme, erbluehern aus den Wassertropfen neue Eisblumen.
    Von diesem FEnster aus kann ich sehen, wie du deinen Truck parkst, austeigst und im Schulgebaeude verschwindest. Ich zaehle die Sekunden bis du den Klassenraum betrittst, dann drehe ich mich um und wuensche dir einen guten Morgen. Du hast mir gesagt, dass du dich sosehr daran gewoehnt hast, dass du es am Wochenende fast vermisst. Daraufhin habe ich dich am Samstag angerufen, nur um dir guten Morgen zu sagen. Seitdem telefonieren wir jeden Samstag.
    Doch alles hat sich geaendert. Seit wir vor zwei Wochen den Unfall hatten. Du hattest keine Chance gegen den Lastwagen. Er hat uns von der Seite gerammt. Ich hatte eine Gehirnerschuetterung und einen gebrochenen Arm. Du bist gestorben. Nicht in meinen Armen- wie es romantisch waere, wie es fair waere. Du hattest keine Chance noch ein letztes Wort zu sagen. Und nicht ich habe deine Augen geschlossen, sondern ein Fremder. Ich konnte nichts tun, ich weiss nur was sie mir gesagt haben.
    Ich warte und warte auf deinen Truck, der um die Ecke biegt und auf dich, zaehle schon heimlich die Sekunden, und weiss doch, dass du nicht mehr kommst. Gestern haeb ich es erfahren, dass du tot bist, das du nicht mehr mit deinem Chevi um die Ecke biegst, und dass ich die Sekunden nun fuer jemand anders zaehelen muss. Fast beneide ich dich, dass du es jetzt gut hast, dass du nicht mehr allein bist, dass du dich nicht quaelen musst, mit dem Gedanken einen Freund verloren zu haben. Gestern habe ich auf dich gewartet, und als du nicht kamst, habe ich gefragt wo du bist. Dianna hat mich umarmt. Da habe ich realisiert, was es heisst zurueckzubleiben. Was mich jetzt noch hier halten soll weiss ich auch nicht, vielleicht dein Grab, dass ich jeden Tag besuche. Vielleicht dein Bruder, der mich Samstags anruft damit ich ihm etwas ueber dich erzaehle. Vielleicht mein Stolz, der mir verbietet einfach aufzugeben. Vielleicht mein Gewissen, dass mich immer wieder dazu zwingt weiterzukaempfen. Vielleicht haelt mich nichts hier. Vielleicht renne ich einfach aus diesem Raum heraus, und drehe mich nicht um. Gehe irgendwo hin, wo ich ohne Grund bleiben kann. Vielleicht sollte ich einfach aufgeben und neu anfangen.
    Aber wir beide wissen doch, dass ich das nicht tun werde. Wir beide wissen doch, dass ich es hasse aufzugeben und zu verlieren. Wir wissen nur zu gut, dass ich weiterleben werde, dass ich jemanden kennenlerne, dass ich einfach so tun werde, als waere das alles nie geschehen. Und wir wissen auch, dass ich trotzdem jeden Tag dein Grab besuchen werde.

    geschrieben von Anna Lucke

    euch hat dir geschichte von anna gefallen und wollt kontakt zu ihr aufnehmen dann schreibt ihr einfach eine mail, sie wird sich freuen. E-mail: prairie_lovell@yahoo.ca


  • Der letzte WegDatum06.03.2006 18:25
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Der letzte Weg

    Es ist dunkel, regnerisch und kalt. Sie ist alleine. Alleine in ihrer kleinen Wohnung.

    Auf dem Tisch glimmt eine Zigarette im Aschenbecher. Überall liegen Fotos herum.

    Neben dem Aschenbecher steht ein halbvolles Glas Wein. Im Hintergrund läuft

    leise der Fernseher. Musikvideos flackern über dem Schirm.

    Sie sitzt zusammen gekauert auf ihrer Couch, auf dem Schoss ein Kissen in Herzchenform.

    Ihr Blick ist starr und kalt. Sie schaut ab und zu aufs Handy, aber niemand ruft sie an.

    Sie greift sich einen Stapel Fotos und schaut sie sich eins nach dem anderen an.

    Eine Träne rinnt über ihre faden Wangen. Ihre Augen haben längst nicht mehr den Glanz, den

    sie mal hatten. Vor ein paar Jahren leuchteten ihre grünen Augen, Sie war voller Elan. Voller

    Tatendrang. Sie begann eine Ausbildung zur Krankenschwester. Sie hatte ihr Leben im Griff,

    hatte viele Freunde und Bekannte, Menschen die sie gerade auf den Fotos wieder gesehen hat.

    Mit denen sie immer viel Zeit verbrachte. Sie war immer für jeden da, hörte zu, half

    allen bei Problemen und hatte immer Spaß am Leben. Sie war immer Glücklich, wenn

    sie Ihren Freunden helfen konnte. Sie hatte immer auf alles eine Antwort.

    Eine Antwort, die sie gerade in diesem Moment auch zu suchen scheint. Sie greift zum Glas

    und nippt daran.

    Die Zigarette im Aschenbecher ist längst verglimmt. Ihr Blick geht wieder aufs Handy.

    Langsam greift sie zur halbvollen Weinflasche und füllt Ihr Glas erneut auf.

    In der rechten Hand hat sie einen Brief ihres Arbeitgebers, ein Schreiben, welches sie sehr

    mitgenommen hatte. Eine Therapie soll sie machen, eine Stationäre Therapie. Sie soll sich

    Endlich ihren Problemen stellen, ihren Problemen mit dem Gewichtsverlust.

    Beurlaubt ist sie bis zur Vollständigen Genesung, steht in diesem Brief.

    Sie hat diesen Brief wahrscheinlich schon Zehnmal gelesen. Sie soll eine Therapie machen,

    gerade sie, eine Frau, die immer für andere da war, eine Frau, die scheinbar immer mit

    ihren eigenen Problemen klar kam. Sie schließt langsam Ihre Hand, wobei der Brief

    dabei zerknittert. Langsam legt sie diesen Brief auf den Tisch und greift nach ihren

    Zigaretten. Sie nimmt sich eine aus der Schachtel und zündet diese an. Ihre Hände

    sind blass, blass wie der ganze Körper. Ein leichtes Zittern ist zu sehen. Ihre Hand geht

    zur Brust, an der an einer langen Kette ein Silberner Anhänger ist, ein Kreuz. Initialen

    sind in diesem Kreuz graviert. Diese Kette hatte sie vor Jahren von ihrem Freund bekommen

    und seit dem nie abgelegt. Ihre große Liebe, sie waren 4 Jahre zusammen. Sie hat heute

    noch Albträume von diesem schrecklichen Unfall. Sieht immer wieder die Bilder des

    verunglückten Autos vor sich. Heute genau vor sechs Monaten ist es passiert. Er war zu

    schnell, hieß es, viel zu schnell für die kleine enge Kurve. Sie war heute Morgen an der

    Unglücksstelle und hat wieder eine Kerze aufgestellt und frische Blumen hingelegt. So wie

    sie das schon sehr oft gemacht hat. Ihr Blick geht wieder zum Handy, das Display zeigt

    keinerlei Anrufe oder Nachrichten an, schon seit Monaten nicht mehr. Sie nimmt das Handy

    und schaltet es aus und legt es wieder zurück auf den Tisch. Sie schaut auf die Uhr, es ist halb

    drei Uhr Nachts. Sie ist nicht müde, obwohl sie schon seit Monaten nicht mehr richtig

    geschlafen hatte. Sie schaut zum Fotostapel und nimmt sich ein bestimmtes Bild heraus, ein

    Bild, auf dem ihr Freund zu sehen ist. Langsam dreht sie das Bild herum. Auf der Rückseite

    ist ein kleiner Text zu sehen. Ein handgeschriebener Text. Es ist ein Versprechen ihres

    Freundes, immer für sie da zu sein. Ihr Augen sind jetzt sehr glasig, tränen rollen langsam

    über ihre hervorstehenden Wangenknochen. Sie sagt kein einziges Wort, aber ihre Augen

    sprechen Bände. Langsam legt sie das Foto vor sich auf den Tisch. Sie nimmt einen Umschlag

    aus ihrer Tasche. Einen Umschlag, in dem sich kein Brief befindet. Ein Umschlag der voll mit

    kleinen weißen Tabletten ist. Langsam schüttet sie diese in ihr Weinglas. Die Tabletten

    lösen sich schnell in dem Wein auf. Sie rührt mit Ihrem Zeigefinger die Tabletten um,

    langsam wird der Wein etwas klarer, die Tabletten haben sich fast vollständig aufgelöst.

    Sie nimmt ihren Finger aus dem Glas und streicht mit der Fingerkuppe über das Bild ihres

    Freundes. Ein kleines Herz ist zu erkennen. Gemalt mit Wein. Sie nimmt das herzförmige

    Kissen von ihrem Schoss und legt es langsam neben sich auf die Couch. Das Bild von ihrem

    Freund legt sie auf dieses Kissen. Mit der linken Hand umschling sie fest den Silbernen

    Anhänger Ihrer Kette. Sie umschlingt diesen so fest, das ihre Adern in der Hand sehr weit

    heraustreten. Mit der anderen Hand nimmt sie das Weinglas und führt es langsam zu ihrem

    Mund. Ihr Blick geht zum Foto auf dem Kissen. Sie trinkt das Glas auf einmal aus.

    Langsam stellt sie das Weinglas vor sich auf dem Tisch ab.

    Sie legt sich völlig wortlos auf die Couch, den Kopf langsam auf das Kissen, direkt neben

    dem Foto. Die linke Hand immer noch den Anhänger fest umschlingend.

    Sie küsst sehr vorsichtig das Foto. Sie schließt ihre Augen. Wenige Minuten später öffnet sich

    langsam die linke Hand und gibt den Silbernen Anhänger wieder frei. Ihre Augen sind

    geschlossen und ihr Gesichtsausdruck strahlt Liebe und Glück aus.

    Sie ist den Weg gegangen,

    den Weg, den sie für sich als letzten Weg gewählt hatte.


    geschrieben von Frank Höpfner

    euch hat die geschichte gefallen und ihr wollt kontakt zu frank aufnehmen dan schreibt ihm einfach eine mail, er wird sich freuen. E-mail: frank-hoepfner@web.de


  • Abgrund eines MädchensDatum06.03.2006 16:48
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Abgrund eines Mädchens

    Ohne einen Plan wohin sie gehen sollte schlenderte Miriam durch den Wald. Sie konnte nicht mehr klar denken. Hoffentlich sah sie hier keiner. Schließlich hockte sie sich hinter einen Baum holte ihr Besteck raus und suchte nach einer freien Stelle. Schließlich setzte sie die Spritze an und drückte sich erneuert eine Ladung rein. Einen Moment drohte sie zusammen zu brechen. Doch dann rappelte sie sich wieder auf und bemühte sich einen Schritt nach dem anderen zu setzten. So lief sie weiter und weiter.
    Sie spürte die Erschöpfung in ihren Knochen nicht. Sie ging den Berg weiter hinauf, an den Tausenden von Bäumen vorbei. Dann blieb Miriam plötzlich stehen. Vor ihr der endlos in die Tiefe gehende Abgrund.
    Das Mädchen setzte sich und nahm vor lauter Verzweiflung einen kräftigen Schluck aus der Whiskey-Flasche. Sie zitterte am ganzen Körper, doch sie wollte nur noch weg. So legte sie sich auf den Rücken, starrte in den Himmel und dachte nach. Nur einmal wollte die 14-Jährige wissen, wie es ist zu fliegen und nach dem Aufprall dann den Tunnel zu sehen, wie die Bilder ihres Lebens durch das Dunkle an ihr vorbei flogen. Zu fühlen wie man dahin schwebt und der Geist von einem weicht.
    Endlich nicht mehr dieser schreckliche Druck der immer auf ihr lastet.
    Ihr ganzer Kopf war von Schmerz erfüllt. Also holte sie ihr Taschenmesser raus, klappte es auf und setzte es an ihrem Arm an. Noch einmal wollte sie sehen, wie das Blut über ihren Arm floss und seine Spuren bildete. Dann setzte sie an und ritze eine lange Linie in ihren Arm. Schon schoss das Blut aus der Wunde. Es lief über ihren ganzen Arm und tropfte auf ihre Hose. Für Miriam war das nichts neues. Sie liebte es, wenn diese rote Flüssigkeit aus ihr heraus trat und ihr zeigte, dass sie noch lebte.
    Viele Gedanken häuften sich in ihrem Kopf. Bald, bald würde die Erlösung endlich da sein. Miriam wollte schreien, doch sie brachte nur seltsame Laute aus sich heraus. Alles um sie herum drehte sich.
    Sie holte den Papiervogel aus ihrer Hosentasche, den ihr Bruder ihr einmal als Erinnerung geschenkt hatte, guckte ihn noch einmal kurz an und warf ihn dann die Klippe hinunter. Sehnsüchtig gucke sie dem Papierstück hinterher.
    Schnell trank sie den Rest aus der Flasche und warf sie weg. Das Mädchen stellte sich an den Rand des Abgrundes, breitete ihre Arme weit aus und holte noch einmal tief Luft. Plötzlich hörte man einen lauten Schrei hinter Miriam: "NEEEEEEEEEEEEIN"!! Doch da war es schon zu spät. Miriam war bereits auf dem weg ins Ungewisse.



  • Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Am Anfang stand das World-Trade-Center ...

    --- Eine Fassung mit Bildern findest Du auf http://www.mein-bochum.de unter "Hildegards Welt / Reportagen" ---

    ......noch- und so auch am Ende meines Urlaubs. Aber dann, einen Monat später standen die Zwillingstürme nur noch in Schutt und Asche.
    Als ich im Fernsehen die Bilder der Katastrophe wahrnahm, dachte ich zuerst an einen ziemlich makabren Horror-Streifen von Steven Spielberg. „Echt geschmacklos, dann schon lieber Dinosaurier“, sagte ich laut zu mir selbst. Noch während ich, empört über das Programm, im Begriff war umzuschalten, meldete sich aggressiv das Telefon aus der anderen Wohnzimmerecke. „Hallo Mama,“ hörte sich mein Sohn ganz aufgeregt an, „schalte sofort den Fernseher ein.“
    Also doch kein Horrorfilm...
    Spontan schossen mir Tränen in die Augen und hilflos wie ich mich in dem Moment fühlte, wusste ich nur aufzuschreien. Meine Gedanken überschlugen sich, passten sich der katastrophalen Stimmung total an. Thorsten, der Sohn meiner auf Long Island lebenden Schwester hatte beruflich in New York zu tun, was wenn er gerade im Gebäude war. „Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein“, stoppte ich meinen wirren Gedankengänge. „Gudrun muss ich anrufen, sie ist auf der Arbeit und weiß noch nichts davon.“
    Meine Freundin Gudrun reagierte ziemlich heftig als ich ihr von dem Unglück berichtete. Ihre Gefühlsausbrüche bewegten sich zwischen Beschimpfungen gegen meine Person, für den Blödsinn den ich ihrer Meinung nach erzählte und lautem Schluchzen. „Mein Gott, Hilli, sag dass das nicht stimmt“, weinte sie.
    Von ihrer Fassungslosigkeit zutiefst gerührt, die laufend „frischen“ Bilder aus dem Fernsehen vor Augen, ging es mir unbeschreiblich schlecht.
    Von einer Sekunde zur anderen waren unsere schönen Urlaubserlebnisse, die wir von dem World Trade Center mit nach Hause brachten, wie ausradiert. Nur Angst und Panik machte sich noch in meinem Gehirn breit. „Hast du deine Schwester angerufen“, schrie sie mich an, „ruf sofort Inge an.“
    Indem ich auflegte um Ingrid anzurufen, klingelte das Telefon, für meine Begriffe, wie doof.
    „Mausi, Mausi“, brüllte Ingrid durch die Leitung, „hast du gehört, hast du gesehen?“

    Ich kann mit Worten nicht beschreiben, wie viel Entsetzen über das Unglück sie mir durch die Leitung schickte, was mich traf wie ein Stromschlag.
    „Thorsten wollte heute Vormittag mit dem Hampton Jitney in die City, oh my god. I cant believe this, i cant believe this.“
    Ihr Sohn, mit Wohnsitz in Wilhelmshaven, welcher sehr oft und wochenlang geschäftlich in USA zu tun hat, mietete sich Tage vor dem Attentat ein kleines Büro im Tower an. Guter Dinge, denn von anberaumten Terminen, einer davon der 11. Sept. nachmittags, erhoffte er sich erfolgversprechende Geschäfte.

    Jede Menge Urlaubsfotos, mit den dazugehörigen Erinnerungen, habe ich nach langer Zeit ins Album „verpacken“ können. Ewig lagen sie unberührt im Regal und warteten darauf endlich bestaunt zu werden. Und wie sie bestaunt werden, vor allem natürlich die Zwillingstürme.
    Der imposanteste Blick auf die Skyline bot sich meiner Ansicht von Ellis Island aus, jedenfalls auf das, was sie seinerzeit ausmachte.
    Sobald ich mir die einmalig schönen Aufnahmen anschaue, laufen die Urlaubserlebnisse wie ein Film in meinem Kopf ab....

    .....Am fünften Tag meines bzw. unseres Urlaubs auf Long Island entschied meine Schwester, mit dem Hampton Jitney in die City zu fahren. Den Stress mit dem Auto wollte sie sich nicht antun, weshalb sie stattliche Parkgebühren dem Fahrpreis für den Bus einschließlich der Bequemlichkeit entgegenhielt. Der Tag davor war für meine Freundin Gudrun genauso von Nervosität geprägt wie für mich. Obwohl ich die Freiheitsstatue, die Skyline, Ellis Island und die Twin-Tower schon mal erleben durfte, konnte ich in der Nacht vor Aufregung kaum einschlafen. Schließlich war es schon wieder drei Jahre her und wie würde Gudrun reagieren?
    Die Eindrücke werden sie erschlagen, wusste ich sie einzuschätzen, womit ich Recht behalten sollte.
    Nach ungefähr zweieinhalb Stunden Busreise brachte uns die Fähre zunächst nach Ellis Island. Etwas abweichend von meiner Vorstellung, heulte Guddi wie ein Schlosshund beim Anblick der berühmten Miss Liberty. Nun ja, beeindruckend wie sie ohne Zweifel ist, die Freiheitsstatue, kann es zu solch Gemütsbewegungen kommen. Ingrid, gefühlsbetont schon vor ihrer „Einwanderung“, stimmte solidarisch ein. Und typisch amerikanisch fanden jene Darbietung auch die anderen Touristen einfach nur „great“!

    Angepasst dem amerikanischen Wortlaut, brachten wir mit „Wow, great“, im Einklang der Begeisterung über das World Trade Center unsere Faszination unüberhörbar zum Ausdruck. Von Ellis Island aus bewundert, stand es uns wenige Stunden später groß und breit zu Füßen.
    Halsverdreherisch bis zum Anschlag versuchte ich den oberen Teil des unglaublich gigantischen Bauwerks mit den Augen zu erwischen, was mir aber nur Gelächter der umstehenden Leute einbrachte. Und? Ich lachte herzhaft mit.

    Selbstredend, dass uns drei Weibsen einer der vielen Aufzüge mit Spitzengeschwindigkeit von –man staune- dreißig Stundenkilometer nach oben fahren sollte, genauer in die „Einhundertzehnte“. Zuvor hieß es selbstverständlich - „anstellen“! (nicht anschnallen)
    Wie bei allen Sehenswürdigkeiten stauten sich bereits an den Kassen die Endlosschlangen, „so what“- Augen zu und durch. Und natürlich auch durch die Kontrollen. Geradezu angesteckt von der Gelassenheit unzähliger Touristen, wirkte auch ich wohl ziemlich cool. Zumindest bestätigte mir das meine Schwester, nachdem ich der freundlichen Sicherheitsbeamtin meine Hand statt der Tasche reichte.
    Dass kein Weg am Sicherheitsdienst vorbeiführte, ähnlich wie nach dem „Einchecken“ am Flughafen, fand ich äußerst beruhigend. Immerhin ......

    Oben - nein fast oben, unter leichtem Ohrendruck angekommen, nahmen Gudrun, Ingrid und ich uns erst einmal an die Hand. Zeitgleich, so hatte es den Anschein, erreichte uns das Bedürfnis nach Körpernahe. Erst dann, sozusagen unter dem Siegel der Verbundenheit konnte es losgehen.
    „So sieht es also von innen aus, das World Trade Center“, lachte Gudrun meine Schwester an. Ehrlich gesagt wusste ich in dem Moment ihre Begeisterung nicht einzuordnen, denn unten im Eingangsbereich war ja auch schon World Trade Center. Vielleicht konnte sie es auch nur wegen der vielen Menschen nicht bewusst wahr nehmen. Mir ging es übrigens nicht anders.
    Ein Koloss von Gebäude, gegliedert in Etagen mit unzähligen Türen, von denen ich zu gerne gewusst hätte wohin sie führen, stellte sich als das berühmtestes Bauwerk der Welt dar. Auf jene Konstruktion, World Trade Center genannt, ist Amerika stolz wie nur was „und ich...
    weil ich von oben auf Miss Liberty herabsehen kann“, waren meine beinahe kindlichen Gedanken, während ich durch die monumentalen Fensterscheiben über den Stadtteil Manhattan blickte.
    Man stelle sich die unzähligen Fotos vor, die wir schossen. Gudrun im Übereifer, entpuppte sich regelrecht als „die“ Fotogräfin. Hochmütig wirkten neben ihren Verrenkungen, durch die leicht beschlagenen Scheiben, ihre Äußerungen, das genialste Panorama der Welt einzufangen.
    Unterdessen wir wie wild Fotos schossen, fühlte sich Ingrid für unser leibliches Wohl zuständig. Gerade in dem Moment, als ich Gudrun für meinen knurrenden Magen verantwortlich machen wollte, harkte Inge uns unter. Fast Food auf oberste Sohle des World Trade Centers, wer hätte das gedacht.
    Und obendrein sah es wirklich sehr gepflegt aus, das offene Restaurant mit fast kulinarischer Food - Auswahl.

    Die Hundertzehnte sollte noch so einiges zu bieten haben, was meine „führende“ Schwester uns auf keinen Fall vorenthielt. Auf direktem Weg zum Souvenir-Shop, sie kannte sich schließlich aus, gab sie plötzlich zum Besten: „Komisch, diese Typen, die sehen aber so gar nicht nach Touristen aus. Ich verwette meinen Hintern, dass sie auch nicht dem Sicherheitsdienst angehören!“
    Genauso gab sie es von sich, aber offen gestanden, fand ich sie einfach nur etwas spleenig, na ja, typisch amerikanisch halt.
    Ich erinnere mich schwach an dunkelhaarige Männer mit adrettem Aussehen, in schwarzen Hosen und weißem Oberhemd. Was daran auffallend sein sollte, konnte ich leider nicht nachvollziehen. Merkwürdig fand ich deshalb eigentlich nur Ingrid.

    Erst im Nachhinein, jetzt zum Beispiel wo ich darüber schreibe, überkommt mich schier die Gänsehaut. Wollten diese Männer inspizieren, waren sie mitverantwortlich für das was einen Monat später die Welt verändern würde? Oh mein Gott.......

    Wieder mal rüstete Gudrun auf, ihren Fotoapparat natürlich, wie sollte es auch anders sein. Während sie sich ihre Umhängetasche mit Filmen voll stopfte, ergatterte ich, auch wieder mal, eine echt gelungene Anfertigung der Freiheitsstatue. Diesmal allerdings in Winzig-Klein-Format, da diese noch zu meinem Glück und in meiner Sammlung fehlte.
    „Smilig“ grinsend, über den Gewinn einer solchen Errungenschaft, kündigte Inge den uns noch bevorstehenden Höhepunkt des World Trade Trips an.
    Hinauf in die, ich möchte sagen, „Einhundertundelfte“! Zuvor machten wir aber noch einen kleinen Schlenker zur Fotokabine.
    Aufgemacht wie ein PKW mit Zwei-Personen-Kinder-Sitz, versuchten wir drei „Vollschlanken“ Platz zu finden. Fanden ihn aber nicht, das heißt, wir quetschten uns mit aller Kraft hinein. Gudrun, unsere Kleinste, blieb beim vergeblichen Versuch frontal mit aufs Foto zu kommen ständig auf der Strecke. Man stelle sich das so vor, dass Guddi auf der rechten Seite immer wieder aus dem Wagen fiel, sobald Inge von der linken Seite auch nur die leiseste Annäherung versuchte, sich mit vors Objektiv zu zwängen. Von einer goldenen Mitte konnte in dieser Position, in der ich mich befand, nicht die Rede sein. Eingequetscht von meiner lieben Schwester und der besten Freundin ließ mich ein rettender und platzsparender Einfall auf Befreiung hoffen. Mit langgezogenem Gesicht und herunterhängenden Lippe, hoffte ich meinen beiden Mitstreiterinnen genügend Raum bieten zu können, um mit auf Foto zu passen. Echt zum Schießen verriet Guddis Grimasse, wie angetan sie von meiner Idee war. Durch hochgezogene Augenbrauen glaubte sie tatsächlich, ausreichend Platz für Inge zu schaffen, die zufrieden lächelnd über unsere Köpfe hinweg auf uns herabsah. Knopfdruck und Schuss; dieses perfekte Erinnerungsfoto handelte uns sogar Beifall von „Außen“ an.

    Und danach ging´s bergauf:
    Das oberste Plateau erreichten wir über eine Rolltreppe und spätestens ab hier fehlen mir einfach nur – für ein paar Minuten Andacht - die Worte.

    .....................................................................................................


    Selig genoss ich die Aussicht, teilte mit meiner Freundin die ganze Freude über unseren gelungenen Urlaub. Und glückselig wie wir waren, holten uns nicht eine Sekunde irre Gedanken wie Einsturz oder Attentat ein. Wir waren einfach nur happy.
    Ich versuchte mir krampfhaft vorzustellen, wie es für meine Schwester gewesen sein musste, als sie in schwindelerregender Höhe ihrem „Sunshine“ das Ja-Wort gab.
    „Sag mal Inge, wie hast du es damals empfunden, deine Heirat hier hoch oben? Schade, dass ich nicht dabei sein konnte.“
    „Es war great Mausi und sehr windig. Aber Revue passieren lassen“, schlug Inge vor, „können wir in der Einhundertsiebten, hurry up.“
    Also fuhren wir mit dem Aufzug hinunter in die Einhundertsiebte. Super-Klasse die Bar, Coke schlürfend genossen wir in Abschiedsstimmung ein letztes Mal den grandiosen Ausblick.


    Gerade in diesem Moment bekomme ich wieder diese Gänsehaut. Ich erinnere mich noch so genau, wie wir uns mit den Colagläsern zuprosteten und versprachen bald wieder hier oben zu sitzen. Es sollte ganz gewiss nicht das letzte Mal sein.

    „Stellt euch vor“, gab Ingrid an, „Sunshine und ich bekamen zur Hochzeit eine Eintrittskarte geschenkt, die uns kostenlosen Eintritt alljährlich zum Valentinstag gewährt. Wenn wir wieder in Montauk sind, werde ich sie euch zeigen.“


    Dieser Satz ist wie eingraviert in meinem Kopf, sowie jenes Bild vom aufgekratzten Mienenspiel.
    Ich könnte weinen. Um die Erinnerungen, die vielen unschuldigen Opfer, um die Hinterbliebenen.
    So unglaublich wie ich es damals wie heute fand, an einem solchen Ort zu heiraten, empfand mein Schwager, unter anderem tätig bei der Freiwilligen Feuerwehr, seinen derart grausamen Einsatz in Manhattan.
    Trauerarbeit um die Opfer leistet er mit vielen anderen Betroffenen noch heute und hofft wie alle, für alle - auf Frieden.

    Währenddessen wir schnatternden Gänse uns zum Rückmarsch auf eines der Nobeltoiletten frisch machten, brachte Gudrun es allen Ernstes fertig, auf den versprochenen Besuch von „River Dance“ am Broadway anzuspielen. Und das so kaputt wie ich war. Das Laufband auf der Stirn: Wo nimmt man nur soviel Power her, musste meine Schwester mir wohl abgelesen haben.
    „Don´t worry“, meinte Inge, „das machen wir, gleich übermorgen. Was sind schon die paar Stunden Fahrt?“
    „Voll amerikanisiert, die Frau“, war mein einzigster und letzter Gedanke für diesen Tag und New York vorerst kein Thema mehr.

    Nie hätte ich geglaubt, dass New York für mich persönlich, in dieser Form ein Thema sein würde. Meine Erinnerungen sollten nur von bemerkenswerten Erlebnissen gekrönt sein, wie der Besuch des World Trade Centers, das hinreißende Panorama auf die Skyline von Manhatten, das Golden Empire State Building, die Taxi-Fahrt durch New-York, Little Italy, China-Town, die Wallstreet, Big Apple und ach so vieles mehr.

    Nur einen Monat vor dem Inferno, bin ich sozusagen dem Unglück entkommen.

    geschrieben von Hildegard Grygierek
    wenn euch die geschichte gefallen hat und ihr kontakt zu hildegard auf nehmen wollt schreibt ihr doch einfache eine mail, sie wird sich freuen.E-Mail: HGrygierek@arcor.de



  • Auf Wiedersehen sagen...Datum06.03.2006 16:46
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Auf Wiedersehen sagen...

    Langsam ging ich die Allee entlang... Heute vor genau einem Jahr. Sie lief neben mir und lachte, wie sie es meistens tat, wenn die Sonne geschienen hatte und keine Wolken am Himmel zu sehen gewesen waren. Der Mensch den ich am meisten liebte und der mir immer zuhörte, was auch immer war und der immer hinter mir stand, auch wenn ich dachte, dass alle anderen mich verlassen hätten.
    An diesem Tag war ich sauer gewesen nicht auf irgendwen sondern auf sie... Ich hatte ihr Vorwürfe gemacht aber sie hatte sich weggedreht und gelacht, wenn ich mal sauer war sagte sie meistens, dass ich locker sein sollte wir leben ein Leben und sollten uns nicht wegen Kleinigkeiten streiten. Wie recht sie doch hatte... Ich war sauer, blind , weil ich dachte sie versteht mich nicht und ich hatte mich weggedreht, nur einen winzigen Moment, in dem ich sie und die Straße aus den Augen verlor... Das Auto hatte sie nicht gesehn, es war vor der Kurve, die Sonne blendete und das nächste was ich sah war sie in der Luft und der Schrei um Hilfe. Sie schlug auf der Straße auf und war wohl sofort tot!
    Ich war sauer gewesen, ich hatte ihr nicht tschüss sagen können aber ich war auch traurig, weil sie mich verlassen hatte, ganz allein in dieser verrückten Welt. So lang habe aber vor allem ich mir Vorwürfe gemacht, ich hatte nicht die Kraft zu ihrem Grab zu gehen und mich zu verabschieden, ich konnte nicht, warum weiß ich heute garnicht so ngenau aber ich gab mir eine unendliche Schuld an ihrem Tod.
    Das alles ist nun ein langes Jahr her. EIn Jahr voll Trauer und EInsamkeit, ein Jahr voller Vorwürfe und Selbsthass. Und heute stehe ich hier an dem Ort an dem alles geschah...
    Und endlich habe ich den Mut gefunden´mich zu entschuldigen, es ist nie zu spät und ich weiß, dass sie mich hören kann und dass sie mir vllt verzeihen wird.
    Ich liebe dich oh du meine beste Freundin und du bist der wichtigste Mensch in meinen Leben, es tut mir leid, dass so viel schief gelaufen ist und dass ich so viele Fehler gemacht habe aber ich hoffe du kannst mir ein letztes Mal verzeihen. Danke für die wunderschöne Zeit und du wirst imemr einen Platz in meinem Herzen haben und in mir weiterleben, In Liebe Auf Wiedersehen, irgendwann...


    geschrieben von Christiane Cohnen

    hat euch die geschichte gefallen und wollt kontakt zu christiane auf nehmen dann schreibt ihr einfach eine mail sie wird sie freuen. E-mail:a-ritzer@anusan.de


  • Der letzte TagDatum06.03.2006 16:45
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Der letzte Tag

    “Am letzten Tag geht die Welt unter.“
    Alle hatten´s geglaubt. Der alte Priester hatte es in dunklen Bildern vorhergesehen.
    Angst hatte sich verbreitet unter den Passagieren des alten, keuchenden Schiffes.
    “Heute ist der letzte Tag, heut geht die Welt unter“, hämmerte es in Gunnars Kopf, “der alte Priester muß es doch wissen.“
    Die Wellen schlugen hoch über das Schiff. Auf und ab wurde es geschleudert. Die Bohlen ächzten und raunten schwerfällig. Längst waren die Segel zerrissen und hingen in Fetzen an der Rahe.
    Die Frauen und Kinder hockten eng zusammengekauert im Unterdeck.
    Drei Tage schon wütete der Ozean, und kein Gebet hatte ihn beruhigen können.

    Der alte Priester stand breitbeinig an der Reling. Seine Hände hatte er fest um die Taue der Ankerwinde gekrallt. Er starrte regungslos auf die kochende See.
    “Die See braucht ein Opfer“, murmelte er. “Die Welt geht unter!“

    Das ist nun der letzte Tag. Und dabei sollte es doch eine neue Zeit werden. Ein neuer Anfang in einer besseren Welt. Frei von Angst und Elend. Sie waren doch nicht mehr weit entfernt. Wie viele Meilen noch?
    In dieser Hölle hatten sie die Orientierung für den Raum und die Zeit längst verloren.

    Stundenlang hatten sie versucht, sich gegen die Gewalten der ungebändigten Natur zu wehren. Erschöpft lagen sie nun auf den nassen, glitschigen Planken. Es hatte ja keinen Sinn, der Priester hatte Recht.
    Sie merkten am Anfang nicht, daß das Schwanken weniger, das Tosen immer leiser wurde.
    Die Hölle schloß langsam ihr Fenster, durch das sie alle hineingeschaut hatten.

    Und dann hat einer der Männer ihn gesehen. Ein Regenbogen spannte sich quer über den unendlichen Ozean. Er senkte seine Farben über den müde gewordenen Kahn, gerade so, als wollte er ihn beschützen. Die Männer erhoben sich schwerfällig und blickten zum Himmel. Die Frauen und Kinder krochen aus dem Bauch des Seglers und holten tief Luft.
    In der Ferne leuchtete der Morgenstern noch einmal kurz auf, um dann der Sonne Platz zu machen.

    Plötzlich ein lauter Ruf: “Land in Sicht!“
    Aus hundert Kehlen erklangen dann die erlösenden Worte: “Land in Sicht!“

    Als endlich alle Passagiere über die Brücke an das unbekannte Ufer in eine neue Welt gingen, fragten einige:
    “Wo ist denn der alte Priester?“
    Sie schauten sich um. Er war nirgends zu entdecken. In der Aufregung hatte sich auch niemand um den anderen gekümmert. Das letzte Mal hatten sie ihn gesehen, als er im schlimmsten Sturm an der Reling stand.
    Gunnar ging noch einmal zurück und suchte das Schiff ab. Doch den alten Priester fand er nicht.
    Dann fielen ihm die Worte wieder ein: “Die See braucht ein Opfer.“

    Niemand hat je erfahren, wer sie gerettet hatte. Niemand hat je erfahren, was mit dem alten Priester geschah.
    Wenn Gunnar später die Geschichte erzählte, mußte er den Schluß immer offenlassen.
    Doch geglaubt hat so jeder seinen eigenen Schluß der Geschichte.

    geschrieben vonMonika Klemmstein


    euch hat die geschichte gefallen und wollt kontakt auf nehmen dann schreibt monika einfach ein mail sie wird sich freuen. E-mail: klemmy@t-online.de



  • Die blaue RoseDatum06.03.2006 16:43
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Die blaue Rose

    „Hmm…“, machte Linda. Sie lag auf dem Bauch und starrte Anne schon seit geraumer Zeit an. Seit 456 Sekunden, um genau zu sein – sie hatte mitgezählt. Vielleicht waren es auch 457 oder 455, aber es hatte so oder so keine Bewandtnis.
    „Was denn?“ Anne hatte bis eben in einem Buch gelesen und schaute nun zu ihrer Freundin herüber. „Du hängst da so wie’n alter Sack“, meinte sie dann und wandte sich wieder ihrem Buch zu.
    Linda gähnte und angelte mit dem Fuß nach ihren Zigaretten. Langsam zog sie die Packung zu sich rüber. „Was wünscht’n du dir zum Geburtstag?“, fragte sie und schaute in die Schachtel. „Also, ich brauch’ erst mal neue Zigaretten“, meinte sie dann und nahm die letzte aus der Packung.
    „Ich will ’ne blaue Rose haben“, erwiderte Anne, ohne aufzublicken. „So blau wie dein Feuerzeug.“
    Linda hatte tatsächlich gerade ihr Feuerzeug aus der Hosentasche gezogen und betrachtete es jetzt. „’s gibt doch gar keine blauen Rosen“, meinte sie dann.
    „Stimmt.“
    Erstaunt sah sie zu Anne rüber. „Warum willst du dann eine haben, wenn es doch gar keine gibt?“
    „Man kann welche machen“, widersprach Anne. „Man muss nur eine weiße Rose in Tinten stellen, dann wird sie mit der Zeit blau.“
    „Gibt’s denn weiße Rosen?“, nuschelte Linda mit der Zigarette im Mundwinkel.
    „Bestimmt. Bräute haben garantiert immer einen Strauß mit weißen Rosen, wo weiß wie ihr Kleid.“
    „Wenn man so’ne Braut in Tinte stellt“, überlegte Linda, „wird die dann auch blau?“
    „Eher, wenn man sie in Alkohol stellt“, erwiderte Anne.
    Keine der beiden lachte.
    „Hm“, machte Linda nach einiger Zeit wieder. „Und was willst du dann mit der blauen Rose anfangen?“
    Anne überlegte ein bisschen. Dann sagte sie: „Ich will sie auf mein Grab gelegt haben.“
    „Auf dein Grab? Wieso das denn?“ Aus den Augenwinkeln bemerkte Anne Lindas hastige Bewegungen. Ihre Finger drehten die Zigarette hin und her, und sie hatte sich aufgesetzt. „Du stirbst doch noch gar nicht“, sagte sie dann.
    „Tja…“, sagte Anne gedehnt. „Doch, schon.“ Sie drehte sich ebenfalls auf den Bauch, sodass sie Linda zum ersten Mal direkt anschauen konnte. „Ich war heute Morgen beim Arzt. In einem halben Jahr oder so sterbe ich, hat er gesagt.“
    Lindas Lächeln erstarb völlig, und als sie ein neues versuchte, gelang es ihr nicht. „Wie? Du verarscht mich, oder?“ Ihre Blicke liefen unruhig über das Gesicht der Freundin, sie drehte die Zigarette im Mundwinkel. Unstetiger Rauch stieg von der glühenden Spitze auf.
    Anne seufzte und verschränkte dann die Arme unter dem Kinn. „Ne, leider nicht.“
    Ihre Stimme wurde leiser, als sie sagte: „Na ja, meine chronische Leukämie ist akut geworden. So viel Hoffnung gibt’s nicht mehr, aber irgendwie war es ja schon klar, dass es irgendwann so weit kommen würde.“ Sie setzte sich auf, schlug das Buch zu und verstaute es sorgsam im Regal. „Deswegen will ich eine blaue Rose zu meinem Geburtstag haben. So’ne blaue Rose ist was ganz besonderes, und ich will auch was ganz besonderes auf mein Grab haben. Damit man mich nicht so schnell vergisst, vermute ich mal. Zwar ist die von meinem Geburtstag bis zu meinem Tod vermutlich schon verrottet, aber das macht nichts.“
    Der Kloß in ihrem Hals war größer geworden während sie sprach, und sie biss sich auf die Fingerkuppe. „Ach, was soll’s“, murmelte sie dann leise.
    Linda hatte ihre Zigarette ausgedrückt und starrte noch ein bisschen dem verschwindenden Rauch hinterher. Auch sie hatte ihren Daumen im Mund und kaute gedankenverloren darauf herum.
    „Echt jetzt?“, fragte sie leise und im selben Moment liefen ihr Tränen aus den Augen. „Ach, Mist“, murmelte sie und wischte sie hastig weg. „Ach, Mist.“
    Anne stand zwei Meter von ihr entfernt und hatte ihr den Rücken zugedreht. Mit ihren Finger strich sie über die Bücher im Regal vor ihr, als würde sie etwas suchen.
    Linda konnte nur dasitzen und sie anstarren und heulen. Sie wusste eigentlich überhaupt nicht, warum sie heulte, die Vorstellung, dass Anne tot sein würde war noch gar nicht bis in ihren Kopf vorgedrungen.
    Anne drehte sich jetzt ruckartig um. „Hey, ist doch nicht so schlimm, wir können zusammen losgehen und einen schönen Grabstein aussuchen. Früher haben wir doch auch immer drüber geredet, wie unsere Grabsteine aussehen sollten. Ich wollte so einen aus Sandstein richtig? Wer weiß, vielleicht finden wir einen.“
    Linda starrte sie weiterhin an. „Bist du verrückt geworden?“, flüsterte sie leise. Dann schrie sie plötzlich: „Das war doch etwas ganz anderes! Verflucht, wie kannst du nur so ruhig sein?!“
    Anne wich erschrocken zurück. Dann biss sie sich auf die Unterlippe. „Verflucht, was bringt es denn, wenn ich rumheule?“, presste sie hervor. „Mann, du verstehst echt gar nichts! Ich kann mich hier in meinem Zimmer einschließen und mir die Augen ausweinen. Kann ich machen!“ Sie stampfte auf. „Meine Familie wird’s sicher freuen, wenn ich vom Essenstisch aufspringe und in mein Zimmer renne, um mein Schicksal zu beweinen!“ Ihre Augen wurden schmaler. „Aber dann würde es mir ständig einfach nur beschissen gehen.“
    Linda presste die Lippen aufeinander.
    „Verdammt, ich ziehe hier auch keine Schau für irgendwen ab“, wurde Annes Stimme wieder sanfter. „Aber mach’ doch kein Theater. So schlimm kann es nun auch nicht sein.“
    „Was soll dieser blöde Galgenhumor? Das tut weh, weißt du? Wenn du so tust, als sei es gar nichts, aber es tut schon so genug weh, dann tu nicht noch so, als hätte ich gar keinen Grund dazu.“ Linda hatte mehrmals schlucken müssen, um die Worte überhaupt herauszubringen.
    „Es sollte aber auch kein Grund sein, den ganzen Tag nur herumzuheulen, weißt du?“ Anne ließ sich neben Linda aufs Bett fallen. Eine Weile schwiegen sie. Dann zupfte sie Linda leicht am Ärmel. „Du“, flüsterte sie, „ich hab’ heute auch wie blöde geheult, als ich die Diagnose bekommen habe. Ich wird’s morgen auch tun, wenn ich aufwache und merke, dass es kein Traum war. Und übermorgen auch. Und heute Abend werde ich auch heulen. Aber…“ Sie machte eine Pause. „Irgendwie ist das wie mit der weißen Rose. Man stellt sie in ein Glas mit Tinte und sie wird blau, aber das ändert doch nicht so viel. Ist immer noch ’ne blaue weiße Rose. Vielleicht ist es ja nicht so schlimm.“
    Linda sah nicht fröhlicher aus. „Das ist totaler Mist, was du da sagst“, flüsterte sie. „Einfach nur Mist.“
    Eine Weile sagte wieder keiner der beiden was.
    Dann stand Anne auf: „Gut, gehen wir dann Grabstein anschauen?“
    Für einen Moment starrte Linda sie dann an, dann packte sie ein Kissen und schleuderte es nach ihrer Freundin. „Du bist so scheiße, du bist so blöde!“, schrie sie und schlug dann mit ihren Fäusten und auf sie ein, packte dann wieder das Kissen und prügelte Anne damit und weinte. Anne prügelte zurück und weinte auch.
    Irgendwann lehnte Linda erschöpft den Kopf gegen Annes Schulter und meinte keuchend: „Ich kann nicht mehr.“
    Anne legte ihren Kopf auf Lindas und nickte leicht. „So eine Scheiße.“
    „So eine Scheiße“, seufzte auch Linda noch mal. „Wie soll das nur werden ohne dich?“
    „Wird schon irgendwie, wird schon. Vergiss nur die blaue Rose nicht. Allein der Aufwand und die Sauerei, die du dabei fabrizieren wirst wird dich an mich erinnern, und du wirst fluchen, ich versprech’s dir.“
    „Versprochen“, murmelte Linda und wusste schon gar nicht mehr, warum sie das gesagt hatte.
    -
    Anne starb zwei Woche vor ihrem Geburtstag bei einem Autounfall.
    Das ganze hatte so eine tragische Ironie, dass Linda manchmal für einen Moment das Weinen unterbrach und ein bisschen darüber lachte.
    Einen Tag vor Annes Geburtstag besorgte sie in einem Blumenladen in der Nähe des Friedhofs eine einzelne, weiße Rose und stellte sie über Nacht in ein Glas mit Tinte und ein wenig Wasser.
    Am nächsten Tag schwänzte sie die Schule und ging stattdessen auf den Friedhof.
    Annes Grab war im Schatten zweier großer Trauerweiden gelegen, und ein kleiner Sandstein mit ihrem Namen und den knappen Geburts- und Sterbedaten zierte es. Ein Blumenstrauß lag bereits auf dem Grab, und eine Kerze stand daneben.
    Linda legte ihre Rose direkt vor den Grabstein. „Es hat nicht so richtig geklappt“, sagte sie dann leise. „Die Blätter sind auch blau geworden, und die Blütenspitzen sind weiß geblieben.“ Sie überlegte einen Augenblick. „Ist aber nicht schlimm, oder?“
    Und nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu:
    „So ist es wirklich etwas ganz Besonderes.“


    geschrieben von Katharina Stegen


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  • VerlassenDatum06.03.2006 16:42
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Verlassen

    Ich saß schon eine ganze Weile hier in der dunklen Bar herum. Ich wußte nicht wohin ich gehen sollte. Ich mußte Nachdenken. Und das war genau der richtige Ort zum Nachdenken. Alle Welt denkt hier nach. Ich hatte meine Freundin verlassen.
    Nun war ich wieder alleine.
    Naja, ganz alleine war ich nicht, ich hatte noch meine Kippen einen großen Whiskey und ein leeres Pilsglas drängelte sich dazwischen.
    Und das wollte ich mit keinem teilen.
    Meinen Ärger nicht und erst recht meinen Alkohol.
    Ich zog eine Kippe aus der Schachtel und steckte mir eine an. Und mit der zweiten Handbewegung bestellte ich mir noch ein Bier.
    Es gab Momente im Leben da waren ein paar 100 Bier und Zigaretten einfach unersetzlich, fand ich.
    Und die anderen 10 Typen an der Theke fanden das wahrscheinlich auch. Da war ich mir sicher.
    Da saß ich nun und wußte nicht mehr weiter.
    Na, im Moment auf jeden Fall.
    Ich hatte jetzt andere Sorgen, ich war wieder Solo.
    Das war auch nicht schlimm. Man mußte sich nur wieder daran gewöhnen.
    Alleine aufstehen, alleine Kaffee trinken, alleine Zähneputzen, alleine essen, alleine rauchen, alleine einkaufen, alleine kochen, alleine trinken, alleine furzen, alleine baden, alleine ins Bett gehen, alleine Sex.
    Alles alleine.
    Und das dauerte eine Zeit. Und zum überbrücken ist eine dunkle Bar genau das richtige für mich.
    Da war ich nicht alleine.

    Sie wollte Familie einen Hund und ein kleines Häuschen im grünen. Ich wollte nur eine Katze.
    Eigentlich wollte ich gar keine Katze. Und den Rest eigentlich auch nicht.
    Mir ging das alles zu schnell. Und darauf wollte ich mich nicht einlassen.
    Zu solchen Entscheidungen muß man stehen. Halbe Sachen sind da nicht gefragt.
    Da laß ich lieber die Finger davon bevor ich mich in ein Abenteuer stürze wo es am Ende nur Verlierer gibt. Ich komme selbst aus einer miesen Familie. Ich weiß von was ich rede.
    Ich leerte mein Bier in einem Zug und nippte kurz an meinem Whiskey, verzog mein schönes Gesicht und bestellte mir ein neues Bier.
    Naja, den Whiskey hätte ich mir sparen können. Ich hatte gedacht das gehört irgendwie dazu.
    Die Bar füllte sich langsam und es kam ein wenig Stimmung auf und ich mußte pissen.
    Das Klo lag am anderen Ende der Bar. Kommt nur mir das immer so vor, oder ist der Platz an dem man sitzt immer am weitesten weg von der Latrine.
    Ich stand auf und nahm den Kreuzweg auf mich und lief mit leichten Seegang ein. So ein Klo ist ein Segen.
    Viel heller als der Rest der Bar. Wie eine kleine Himmelspforte.
    Ich pißte und wusch mir nicht die Hände. Mein Schwanz war sauber.
    Das hatte sich wieder gelohnt. 8 Bier getrunken und 2 gepißt. Ich schwebte an meinen Platz zurück und wurde von meinem frischen Bier empfangen.
    Es grinste mich förmlich an. Und ich bedankte mich mit einem großen Schluck.
    Eigentlich sollte ich mich über meine neu gewonnene Freiheit freuen aber ich tat es nicht.
    Es lief doch ganz gut zwischen uns. Nicht perfekt aber was ist schon perfekt.
    Warum konnte sie es nicht dabei belassen wie es war.
    Egal, ich konnte eh nichts mehr ändern. Wenn eine Frau mit so einem Scheiß erst anfängt ist es schon zu spät. Mit ihr schwimmen oder auf der Stelle untergehen. Ich bin lieber ans sichere Ufer geschwommen. Und es tut mir nicht mal leid je länger ich darüber nachdenke.
    Ich nahm mir eine Zigarette aus der Schachtel, drehte sie durch meine Finger und steckte sie mir an.
    Alleine Rauchen.
    Ich dirigierte den Kellner her und bezahlte meine Rechnung. Trank meine Reste aus und ging hinaus auf die leere Straße und ging nach Haus.
    Alleine.
    Ich zog mich aus und legte mich ins Bett und starrte meine Decke an. Machte das Licht aus und schlief ein......alleine.


    P.S: Na ja, kann jedem passieren...))


    geschrieben von Peter Schultheis


    euch hat die geschichte gefallen und wollt kontakt zu peter aufnehmen dann schreibt ihm einfach eine mail er wird sich freuen. E-mail: PeterSchultheis@gmx.de



  • Das LächelnDatum06.03.2006 16:41
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten

    Das Lächeln

    Eine belastende Ruhe herrschte in der Wohnung von Viola Bergmann. Da, wo die fünf Zimmer ständig mit jubilierendem Leben erfüllt waren, hing heute jedes Familienmitglied seinen eigenen Gedanken nach.
    Innerhalb weniger Monate endete das 67 jährige Leben von Opa Karl. Handlungsunfähig mussten wir zusehen, wie sein Leben verlöschte. Die Bestrahlung brachte keinen Erfolg, trotzdem heftete jeder seinen Glauben daran, dass es wieder besser werden könnte. Wunder gibt es immer, doch diesmal war es zu spät.

    Viola stand im Schlafzimmer vor dem geöffneten Kleiderschrank.
    „Warum müssen wir eigentlich unbedingt schwarze Kleidung tragen?“, sprach sie laut zu ihrem Mann, „Ich finde das nicht in Ordnung. Jeder sollte für sich entscheiden, was er anziehen möchte.“
    Ihre Hand wühlte nervös zwischen den Kleidungsstücken, bis sie endlich die schwarze Baumwollhose ihres Mannes Fred fand und auf das Ehebett warf.
    „Wir müssen uns beeilen“, antwortete ihr Mann und schlüpfte hastig in die Hosen, „Sonst kommen wir noch zu spät.“

    „Jungs, seid ihr fertig?“, rief Viola.
    Widerwillig bewegten sich Martin und Jens aus ihren Zimmern. Viola wusste, dass sie am liebsten zu Hause bleiben würden, aber sie waren keine kleinen Kinder mehr mit ihren 22 und 19 Jahren. Das Sterben gehörte zum Leben wie das Lachen hatte Viola ihnen schon in jungen Jahren erklärt.

    Mit schnellen Schritten liefen sie die Treppe herunter, stiegen ins Auto und fuhren Richtung Friedhof. In letzter Minute betraten sie die Kapelle. Viola empfand Abscheu vor diesem Anblick. Mit steifer Körperhaltung ging sie hinter ihrem Mann und den Söhnen auf die dritte Bankreihe zu. Widerwillig setzte sie sich auf das kalte abgenutzte Holz. Eine Armlänge vor ihr sass Schwester Katrin mit Ehemann Jürgen und Tochter Lydia und in der Reihe davor ihre Eltern mit Oma Else.
    Violas Augen huschten unruhig durch die Kapelle. Das bohrende Schweigen drückte sie noch tiefer in die harte Bank.
    „Sogar der Himmel weint“, flüsterte sie leise hinter vorgehaltener Hand zu ihrem Mann, der aber nicht antwortete. Mit einem leisen Seufzer richtete sich Viola wieder auf und wartete ungeduldig auf den Pastor. Ihre Finger spielten nervös miteinander und die Betroffenheit aller Besucher hing wie ein dumpfer Nebel im Raum. Dann ertönte die Orgel. Jammernde Klänge. Mit bedächtigen Schritten schlich Pastor Meier den langen Gang zwischen den Bänken hindurch. Erhobenen Hauptes und die Hände ordentlich über dem Bauch gefaltet, verweilte er eine Minute vor dem Sarg.

    Alle Blicke waren auf ihn gerichtet, als hofften sie, er würde ihnen die Traurigkeit aus dem Herzen reissen. Mit einem frommen Gesichtsausdruck blickte er von der Kanzel auf die Trauergemeinde und begann seine Ansprache. Es folgte ein Gebet. Viola hatte das Gefühl, als würde das Murmeln der Trauergäste gegen die weiss gekalkten Wände stossen, abprallen und im Raum hin und her schaukeln.
    Ihre Augen hefteten sich an das große schmucklose Jesuskreuz, bis es vor ihrem Blick verschwamm und die Gedanken in eine ferne Zeit abwanderten.

    Der Grundstein für ihren Widerwillen gegen Beerdigungen wurde hier gelegt. Der Trauerfeier für Oma Lotte. Ihrer Schwiegermutter. Den einzigen Trost, den Viola dabei empfand war, dass Oma Lotte noch ihren Enkelsohn Jens in den Armen halten konnte. Das erstgeborene Kind ihres jüngsten Sohnes Fred.

    Es war ein regnerischer Tag im Oktober gewesen, als die Nachricht von ihrem Tod ihre Wohnung erreichte. Viola war traurig. Ihr Mann verzweifelt. Sie versuchte ihm Trost zu spenden. Nahm ihn in den Arm. Aber wie kann man in dieser Situation trösten, wenn sich der Schmerz ins Herz frisst. Dann kam der Beisetzungstag. Die Friedhofskapelle war bis auf den letzten Platz besetzt. Viele Dorfbewohner mussten draussen bleiben und dort auf das Ende der Trauerzeremonie warten.

    Der Duft der schwarz gekleideten Trauergäste machte die Stimmung noch bedrückender. Nahm Viola die Luft zum Atmen. So viele Leute, dachte sie, das ganze verdammte kleine Dorf hatte sich eingefunden.

    Nachdem endlich die Feierstunde vorüber war, begab sich die Menschenmenge zur Grabstelle und kreiste sie mit mehreren hintereinander stehenden Reihen ein. Viola bekam plötzlich panische Angst. Sie griff nach dem Arm ihres Mannes und suchte Schutz. Der Pastor erhob seine Stimme. Ein lautes Aufschluchzen begleitete seine Worte. Was für eine Schauspielerei, dachte Viola, schluckte die aufkommende Wut herunter und biss sich auf die Lippen.

    Der Ehemann, die Kinder und Schwiegerkinder von Oma Lotto heulten laut. Ihre Körper glichen Marionetten, ihre Köpfe hingen auf der Brust und Viola verachtete sie und ihre heuchlerischen Tränen. Sie fand nur tröstliche Gedanken für den jüngsten Sohn, ihren Mann.

    Zu Lebzeiten haben sie Oma Lotte nur herum gestossen, ausgenutzt und angeschrieen. Oft musste Viola im ersten Jahr ihrer Ehe mit Fred, das sie im Hause der Schwiegereltern verbrachten, böse Beschimpfungen mitanhören. Und jetzt. Sie zerflossen vor Selbstmitleid. Diese Heuchler. Es fehlte nur noch der Sprung ins Grab. Die Stimme des Pastors wurde überschwemmt von winselnden Geräuschen.

    Es wurde noch schlimmer, als der Sarg langsam in der Erde versank.
    „Mach es gut Oma Lotte“, sprach Viola leise für sich, „Leider habe ich dich noch gar nicht richtig kennen lernen dürfen. Aber eins wünsche ich dir. Sollte es irgendwo ein neues Leben geben für dich, geniesse es.“

    Viola wollte aufatmen, aber kam nicht mehr dazu. Das Dorf hatte sich angestellt und zog in einer nie enden wollenden Schlange an den Familienangehörigen vorbei, um sein Beileid auszudrücken. Aus Violas Augen schoss ein Wolkenbruch. Am liebsten wäre sie weggelaufen, aber der Anstand zwang sie zum Bleiben. Ungern erinnerte sich Viola an diese Szenen.

    Die laute Stimme des Pastors Meier holte sie zurück in die Wirklichkeit und forderte die Trauergemeinde zu einem gemeinsamen Lied auf. Danach folgte die Erinnerungsrede. Kurz und schmerzlos, ohne viel zu sagen über Opa Karl. Hatte Opa Karl überhaupt ein Leben gehabt?

    Und so flogen Violas Gedanken wieder in die Vergangenheit und landeten auf einem Bauernhof, der mitten in einer Kleinstadt lag.

    Etwas suchend schaute sie zur Decke, zum Fenster und dem hölzernen Sarg in der Kapelle.
    „Erinnerst du dich noch an die Zeit vor fünfunddreißig Jahren, Opa?“, fragte Viola ganz leise.
    „Als du mich zum ersten mal auf den Schimmel gesetzt hast. Ich wollte unbedingt da oben rauf, obwohl mir die Angst fast aus den Augen sprang. Wie alt war ich damals? Ich glaube so neun Jahre und spindeldürre. Man war das hoch. Mein Herz schlug Purzelbäume.“

    „Ich erinnere mich sehr gut“, vernahm Viola plötzlich die Stimme ihres Großvaters, „Du hast am ganzen Körper gezittert, aber dein Wille war ungebrochen oder sollte ich es lieber Starrsinn nennen.“

    „Woran erinnerst du dich noch?“, fragte mich Opa Karl gleich darauf bei unserem Gedanken-spaziergang in die Vergangenheit.
    „Da gibt es viele Dinge“, antwortete Viola, „Zum Beispiel der Dachboden des Hauses. Du weißt es sicherlich nicht, aber wir haben so oft dort herumgestöbert. Es war wie ein kleines Abenteuer in die Vergangenheit. Manchmal haben wir Reichsmark gefunden, eine Schiefertafel, alte Fotos, meinen ersten Kinderwagen und sogar den alten Kinderwagen meines Vaters.“

    Ich spürte, dass Opa Karl schmunzelte, seine rechte Hand auf meiner linken Schulter lag und er mich weiter ausfragte.
    „Wie war das mit dem Spinnrad?“
    Ja! Spinnen wollte ich als kleines Mädchen schon immer. Doch leider hat es nie so recht funktioniert. Den Faden zwischen den Fingern drehen und gleichzeitig das Spinnrad mit den Füssen in Schwung halten, war nicht so einfach, aber Oma Else war darin Meisterin und so bestaunte ich lieber ihre Fingerfertigkeit.

    „Du und deine Schwester Katrin, ihr habt den ganzen Hof unsicher gemacht“, sprach Opa Karl weiter und lachte dabei.
    „Das ist wahr“, antwortete Viola, stimmte in das Lachen ein und erinnerte sich.
    Katrin und ich konnten kaum mit Opa Karl Schritt halten. Er war so groß, dünn und hatte unendlich lange Beine. Mit kleinen Schritten trippelten wir hinterher, wenn es zum Füttern der Hühner ging. Neugierig wie ich es schon immer war, kroch ich zu den Hühnern in den Stall. Es musste alles genauestens untersucht werden. Ich hätte das lieber nicht tun sollen, denn an meinen Beinen sammelten sich die Flöhe und ich begann wie ein kleines Ferkel zu quietschen.
    Dann war da noch dieser verrückte Hahn. An einem Nachmittag im Sommer spazierte ich mal wieder über den Hof und ärgerte das Federvieh. Bis sich der Hahn für mich interessierte. Er flatterte auf mich zu und pickte nach meinem roten Rock. Schreiend lief ich so schnell wie ich konnte zur Hintertür des Hauses und die Treppe hinauf in die Küche. Vom Fenster aus zeigte ich ihm eine lange Nase.

    Einer unserer Lieblingsplätze war die Scheune. Vollgestopft mit Stroh und Heu für die vielen Tiere lockte sie uns immer wieder durch das große Tor. Mutprobe nannten wir es und sprangen vom Scheunenbalken ins Stroh oder Heu. Oftmals sassen wir auch nur so da, erzählten und ließen die vom Stroh zerkratzten Beine baumeln. Manchmal legten wir uns auch einfach ins Heu und spielten mit den kleinen Kätzchen.

    „Sag mal Opa, warum habe ich eigentlich im Hühnertrog gesessen?“ flüsterte Viola neckisch.
    „Du warst ungefähr drei Jahre alt, als ich dich sitzend im Hühnertrog fand. Draussen war es kühl und der Trog war voll mit gedämpften Kartoffeln. Du hast mittendrin gesessen, weil es dort so schön warm am Po war“, antwortete Opa Karl schmunzelnd.

    Manchmal durften wir auch in den Betten unserer Großeltern schlafen. Die Kissen waren so dick, das man darin versank. Morgens wurden wir geweckt vom Brüllen der Kühe und dem Zwitschern der fleißigen Schwalbeneltern.

    Aber wir waren nicht nur auf Entdeckungsreise, sondern haben auch oft geholfen. Entweder beim Füttern der Tiere oder beim Eier stempeln. In einem Jahr hatten wir sogar ein kleines Ferkel in Pflege. Es durfte in der Küche schlafen, sorgte für manche Aufregung und quiekte jämmerlich, wenn es Hunger hatte.

    Viola kräuselte die Nase. Roch es hier nicht nach frischem Heu, hörte ich da etwa den Hufschlag der Pferde und spürte die heissen Sonnenstrahlen.
    „Du vermutest genau richtig“, hörte Viola wieder ihren Opa reden. „Ich höre euch noch wie heute lachend und kichernd auf dem Heuwagen. Deine Schwester und du, ihr wart euch einig, was selten vorkam.“
    Über Violas Gesicht huscht ein Lächeln, als sie sich an diese Zeit erinnert. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Katrin hatte sie auf dem Heuwagen gelegen und die Wolken und Schwalben am Himmel beobachtet.
    „Fliegen die Schwalben tief, gibt es bald Regen“, sprach Opa Karl immer zu uns und trottete neben dem Fuhrwerk her.
    Er ging immer etwas nach vorne über gebeugt, obwohl er noch gar nicht so alt war. Oma Else nannte ihn immer „Puddel“. Sie war 13 Jahre älter, viel kleiner und etwas rundlich. Obwohl sie die Hosen im Hause anhatte, war Opa Karl immer freundlich und fröhlich. So weit ich mich erinnern kann, kam nie ein lautes oder böses Wort über seine Lippen. Er konnte essen und wurde nie dick. Wenn wir schon alle das Essen beendet hatten, futterte Opa Karl noch kräftig. So sassen wir Mädchen immer da und bestaunten die Brotberge, die in ihm verschwanden.
    „Eat doch min Dirne“, sagte er immer zu mir, „damit du grot und stark warst. Und wir assen, am liebsten viele hart gekochte Eier.

    Plötzlich spürte Viola eine sanfte Wärme auf ihrer Wange. Ungläubig hob sich ihr Blick zum Fenster und sie sah, wie sich die Sonne ihren Weg durch die grauen Wolkenmassen bahnte. Die ersten goldenen Strahlen des Tages fielen durch das angestaubte Fenster und landeten auf dem dunkelbraunen Sarg.

    „Schau Opa. Die Engel haben eine wunderschöne Sonnenstraße für dich gebaut. Sie werden dich jetzt mitnehmen und niemals mehr werden Kummer, Sorgen oder Schmerzen in dein Herz dringen.“

    Die Erinnerungsrede des Pastors war beendet und auch Viola hatte auf ihre Art Abschied genommen. Ein glückliches und zufriedenes Lächeln tanzte auf ihren Lippen. In ihrem Herzen herrschte vollkommene Ruhe und Zufriedenheit. Ein letztes Mal erklang die Orgel. Ein Stück aus der Volksmusik hätte Opa Karl bestimmt viel besser gefallen, dachte Viola, denn er liebte diese Musik sehr. Vielleicht sollte der Mensch die Regeln durchbrechen und sich nicht immer an ihnen festkrallen.

    Mit diesen Gedanken verließ Viola die Kapelle und begleitete den Sarg zu dem schwarzen, kalten Loch in der Erde. Still stand sie an seinem Grab, warf den kleinen Blumenstrauß hinein und stellte sich neben ihre Familie.

    © Oktober 2004


    geschrieben von Heidelind Matthews


    euch hat die geschichte gefallen und ihr wollt kontakt zu heidelind auf nehmen dann schreibt ihr eine mail sie wird sich freuen. E-mail: Sekretaeri@aol.com



  • KurzgeschichtenDatum06.03.2006 16:38
    Thema von Sunshine im Forum Kurzgeschichten
    hallo ihr lieben,

    hier könnt ihr kurzgeschichten lesen, selbst posten und darüber reden.

    ich wünsche euch viel spaß dabei.

    diese kurzgeschichte sind von der seite http://www.e-stories.de wo es noch viele andere gibt.
    ich bitte euch auch die geschichten nicht aus dem forum zu kopieren da man sie erst mit einwilligung
    des jeweiligen verfassers veröffentlichen darf.

    lg summilie

  • New York am 11.Semptember.2001Datum12.09.2005 21:11
    Foren-Beitrag von Sunshine im Thema New York am 11.Semptember.2001

    also ich habe es an dem tag neben bei in denn nachrichten gesehen aber habe es nicht für voll genommen.
    so richtig habe ich es dann am anderen tag auf arbeit erfahren.

  • Der 11. September - Tag des TerrorsDatum11.09.2005 23:40

    102 Minuten Chaos, Panik, Glück und Tod

    Um 8.46 Uhr schlägt das erste entführte Flugzeug in das World Trade Center ein, um 10.28 Uhr kollabiert der Nordturm. Der Südturm wird erst 16 Minuten später getroffen, stürzt aber fast eine halbe Stunde eher zusammen. In den 102 Minuten vom Beginn der Attacke bis zum Ende des World Trade Center rennen Menschen um ihr Leben, stürzen in den Tod, flehen um Hilfe, verabschieden sich von ihren Angehörigen mit Worten der Liebe und der Verzweiflung. Mindestens 353 der Eingeschlossenen haben Kontakt zu Verwandten, Freunden oder Geschäftspartnern außerhalb der Türme.

    Aus Telefonaten, E-Mails und Nachrichten auf Anrufbeantwortern, aus Aufzeichnungen der Notrufzentrale, Bändern des Funkverkehrs von Feuerwehr und Polizei sowie aus Berichten von 25 Menschen, die aus der Einschlagzone der Flugzeuge flüchten konnten, entstand ein ergreifendes Protokoll von jenen schicksalsschweren Minuten, in denen ein falsch gedrückter Aufzugknopf Leben rettete und ein korrekt befolgter Befehl den Tod bedeuten konnte.

    Das Protokoll
    "Guten Morgen, Miss Thompson." Die Begrüßung ist so freundlich wie der strahlende Herbstmorgen, als Liz Thompson, Direktorin des Lower Manhattan Kulturrates, zum Frühstück in den 107. Stock des World Trade Center kommt. Das Restaurant "Windows on the World" im Nordturm ist das höchstgelegene der Stadt. Hier ist sie mit Geoffrey Wharton von Silverstein Properties verabredet, der Firma, die kurz zuvor den Pachtvertrag für die Zwillingstürme übernommen hat. Am Nebentisch sitzt Michael Nestor, stellvertretender Generalinspekteur der New Yorker Port Authority, mit einem Kollegen. Die Hafenbehörde ist Eigentümerin des World Trade Center - ihr gehörte das Grundstück, auf dem das etwa 411 Meter hohe Gebäude vor 30 Jahren errichtet wurde. Wie jeden Dienstag ist ein Tisch für sechs Börsenmakler reserviert. Für einen hat Restaurantchefin Doris Eng eine Überraschung: zwei Tickets für "The Producers", den ständig ausverkauften Broadway-Hit des Sommers.

    An einem der Fensterplätze mit Blick auf die Freiheitsstatue sitzt Neil D. Levin, Geschäftsführer der Port Authority. Er frühstückt sonst nie hier hoben, doch an diesem Tag erwartet er einen befreundeten Banker. Ein Kellner, Jan Maciejewski, eilt durch den Raum, schenkt Kaffee nach, nimmt Bestellungen auf. Er hat alle Hände voll zu tun. Die meisten seiner 72 Kollegen bedienen eine Etage tiefer, im Ballsaal des Restaurants, bei einer Konferenz der Firma Risk Waters Group. Dort sind gegen 8 Uhr bereits 87 Teilnehmer erschienen, darunter Topmanager der Finanzfirmen Merrill Lynch und UBS Warburg. Manche machen sich bereits über die Lachsschnittchen her.

    Ganz unten, im Erdgeschoss, in der Lobby des World Trade Center, wartet Neil Levins Assistent auf den Frühstücksgast seines Chefs. Als der Banker erscheint, steigen sie aus Versehen in den falschen Aufzug. Ein Fehler, der ihnen das Leben rettet. Sie müssen in die Lobby zurückfahren. Oben, im 107. Stock, liest Neil Levin derweil Zeitung. Michael Nestor und sein Kollege von der Port Authority sind neugierig, wen ihr Chef wohl erwartet. Doch sie können nicht länger im Restaurant bleiben, Nestor muss zu einer Konferenz. Sie halten noch die Aufzugstür auf, damit Liz Thompson und Geoffrey Wharton einsteigen können. Sie sind die letzten Menschen, die das Windows on the World lebend verlassen. Es ist 8.44 Uhr.

    8.46 Uhr, Nordturm, 91. Stock, American Bureau of Shipping. Noch 102 Minuten bis zum Einsturz
    American Airlines Flug 11 schlägt um 8 Uhr, 46 Minuten und 26 Sekunden ein. Die Boeing 767 hat eine Spannweite von knapp 50 Metern und etwa 38.000 Liter Treibstoff an Bord. Der Aufprall erfolgt mit einer Geschwindigkeit von zirka 760 Kilometer pro Stunde. Das Flugzeug zieht eine Schneise der Verwüstung durch die Etagen 94 bis 98 direkt bis in die Büros von Marsh & McLennan. Es zermalmt Stahlsäulen, Wände, Aktenschränke und computerüberladene Schreibtische. Der Treibstoff entzündet sich. Das Fahrwerk schleudert auf der Südseite wieder aus dem Gebäude heraus und landet in der Rector Street - fünf Häuserblocks entfernt. Steve McIntyre sitzt drei Etagen unter der Einschlagzone. In seinem Büro rührt sich nichts. Nicht einmal die Fotos seiner Familie, die er lose ins Regal gestellt hat, zittern. Der Computer läuft weiter, als wäre nichts geschehen. Dann kommt die Erschütterung.

    Von der Einschlagstelle aus brandet die mächtige Druckwelle durch den Turm, drei oder vier Sekunden lang schwankt das Gebäude - wie ein Schiff in Seenot. "Nichts wie raus!", schreit Greg Shark, Ingenieur und Architekt beim American Bureau of Shipping, der vor dem Büro McIntyres steht und sich gegen die Druckwelle stemmt. Zusammen mit neun weiteren Kollegen laufen sie zu den Aufzügen und Treppenhäusern im Kern des Turms. Steve McIntyre späht in ein dämmriges, zertrümmertes Treppenhaus, aus dem Rauchschwaden aufsteigen. In dem beißenden Dunkel sieht und hört er niemanden. Das einzige Geräusch kommt vom Wasser der Sprinkleranlagen, das in Kaskaden die Treppen hinabstürzt. Er blickt nach oben. Die Treppe über ihm ist blockiert. Riesige Wandplatten haben sich durch die Explosion gelöst und bilden eine unüberwindbare Sperre zwischen dem 91. und 92. Stock. Später wird sich herausstellen, dass in den 19 Etagen darüber 1344 Menschen eingeschlossen sind. Nicht einer von ihnen wird überleben.

    McIntyre sagt nur: "Das schaut nicht gut aus." Er rutscht auf den nassen Trümmern aus und schlittert zwei Stockwerke tiefer. Unverletzt steht er auf und sieht unter sich ein Licht. "Hier lang", ruft er seinen Kollegen zu. Die Flucht aus dem 91. Stockwerk beginnt.

    Nur eine Etage darüber, im 92. Stock, suchen Mitarbeiter von Carr Futures nach einem Fluchtweg. Damian Meehan kann sich mit Mühe ein Telefon schnappen und ruft seinen Bruder Eugene an, der ist Feuerwehrmann in der Bronx. "Schlimm hier", sagt Damian, "die Aufzüge sind ausgefallen." Eugene Meehan drängt seinen Bruder: "Lauf zum Eingang, schau nach, ob dort Rauch ist." Er hört, wie Damian den Hörer hinlegt, im Hintergrund sind Geräusche zu vernehmen: Schreie und Aufregung, aber keine Panik. Wenige Minuten später kehrt Damian Meehan zum Telefon zurück. Der Eingang sei voller Rauch, berichtet er. "Geh zu den Treppen", sagt Eugene. "Schau, wo der Rauch herkommt, und lauf in die andere Richtung." Dann hört er seinen Bruder zum letzten Mal. "Ich zermartere mir das Hirn, um mich an seine genauen Worte zu erinnern", sagt Eugene. "War es "Wir müssen gehen" oder "Wir gehen"? Aber ich bin sicher, er sagte "wir"."

    9 Uhr, Nordturm, 106. Etage, Windows on the World. Noch 88 Minuten bis zum Einsturz
    "Was sollen wir tun? Was sollen wir tun?" Wieder und wieder ruft Restaurantchefin Doris Eng die Kommandozentrale der Feuerwehr in der Lobby des Nordturms an. Wenige Minuten nach dem Flugzeugeinschlag ist das Restaurant bereits voll Rauch. Die 170 Gäste, überwiegend Leute, die ihr Geld machen, indem sie das Gras wachsen hören, Informationen beschaffen, mit Daten handeln oder mit den dafür notwendigen Apparaten, sind plötzlich von allen Nachrichten abgeschnitten. "Schalt CNN ein", mailt Stephen Tompsett, ein Computerwissenschaftler seiner Frau Dorry. "Wir brauchen updates."

    Der Rauch wird immer dicker. Rajesh Mirpuri von Data Synapse ruft seinen Kollegen Peter Lee an und sagt ihm hustend, dass er kaum mehr als drei Meter weit sehen könne. Peter Alderman, Verkäufer bei Bloomberg, mailt seiner Schwester: "Ich habe Angst." Doris Eng und ihre Mitarbeiter halten sich an die Anweisungen für Notfälle und treiben die Gäste vom 107. Stock eine Etage tiefer zu einem Gang in der Nähe der Treppe, wo es eine direkte Telefonleitung zur Feuerwehr gibt. Nur wenn es brennt, ist die sofortige Räumung der betroffenen und der darüber liegenden Etage vorgesehen. Wer weiter vom Brandherd entfernt ist, soll das Gebäude erst verlassen, wenn die Kommandozentrale es befiehlt oder "wenn Umstände eine Evakuierung erforderlich machen".

    Christine Olender, Assistentin des Windows-Hauptgeschäftsführers, will ihren Chef anrufen. Doch der steht unten auf der Straße vor dem World Trade Center. Sie erreicht seine Frau, schildert ihr die Lage im Restaurant: "Die Decken fallen runter, die Fußböden geben nach." 20 Minuten nach dem Attentat meldet ein Polizeihubschrauber, eine Landung auf dem Dach sei unmöglich. Trotzdem hoffen viele auf eine Rettung aus der Luft. "Ich darf nirgendwo hin, sie haben uns gesagt, wir sollen uns nicht rühren", spricht Ivhan Carpio, ein Restaurant-Angestellter auf den Anrufbeantworter seines Cousins. "Ich muss auf die Firefighter warten."

    Da die meisten Aufzüge bereits ausgefallen sind, müssen die Feuerwehrleute ihr schweres Gerät die Treppen hinaufschleppen - gegen den Strom der Flüchtenden. Noch eine Stunde nach dem Einschlag des Flugzeugs im Nordturm befinden sich die Firefighter 50 Etagen unter dem Windows on the World. In der Lobby nehmen die Verantwortlichen verzweifelte Anrufe aus den oberen Stockwerken entgegen. "Wir konnten nicht mehr tun, als ihnen zu sagen, sie sollten sich nasse Handtücher vor das Gesicht halten", sagt Alan Reiss, ehemaliger Direktor des WTC-Büros der Port Authority. Was er nicht weiß, ist, dass die Boeing die Wasserleitungen zu den oberen Stockwerken durchtrennt hat. Jan Maciejewski, der Kellner, berichtet seiner Frau über Handy, dass er nicht genügend Wasser finden könne, um einen Lappen nass zu machen. Er will in den Blumenvasen nachschauen.

    41 Restaurantgäste rufen Verwandte und Bekannte außerhalb des Gebäudes an. Peter Mardikian von Imagine Software erzählt seiner Frau, Corine, dass er in Richtung Dach laufen wolle und deshalb nicht lange reden könne. Garth Feeney wählt die Nummer seiner Mutter Judy in Florida. Sie geht mit einem unbekümmerten "Hallo" ans Telefon. "Mom", sagt Feehy, "ich rufe nicht an, um mit dir zu plaudern. Ich bin im World Trade Center, und es ist von einem Flugzeug getroffen worden." Die Belastung zerrt an den Nerven. Als Howard Kane, Buchhalter des Restaurants, seine Frau Laurie anruft, hört sie im Hintergrund jemanden schreien: "Wir sind gefangen." Innerhalb von elf Minuten ruft Gabriela Waisman ihre Schwester zehnmal an - in schierer Verzweiflung, die Verbindung zur Außenwelt könnte abbrechen. Veronique Bowers erzählt ihrer Großmutter, Carrie Tillman, am Telefon wieder und wieder, dass ein Krankenwagen in das Gebäude gekracht sei. "Sie war vollkommen durcheinander", sagt Frau Tillman später.

    9.01 Uhr, Nordturm, 104. Stock, Cantor Fitzgerald. Noch 87 Minuten bis zum Einsturz
    Zwei Stockwerke unter dem Windows on the World ist der Konferenzraum von Cantor Fitzgerald zu einem der Zufluchtsorte für die Mitarbeiter der Firma geworden. Hier breitet sich der Rauch nicht so schnell aus. Andrew Rosenblum, ein Börsenmakler, kommt auf die Idee, die Familien zu beruhigen. Er ruft seine Frau Jill in Rockville Centre, New York, an, und gibt ihr die Namen der Umstehenden durch. "Bitte sag ihren Familien, dass wir hier im Konferenzraum sind und dass es uns gut geht." Jill steht daheim in der Küche und notiert eine Nummer nach der anderen auf einem gelben Schreibblock, während auf dem kleinen Fernseher vor ihren Augen das Drama um den brennenden Turm seinen Lauf nimmt.

    In einem anderen Büro, mit Blick über den Hudson River, sitzen weitere Börsenmakler und telefonieren. Ian Schneider, der das Bombenattentat auf das World Trade Center von 1993 miterlebt hat, erzählt seiner Frau Cheryl am Telefon: "Das Gebäude hat geschwankt wie nie zuvor." Eine dritte Gruppe von Cantor-Angestellten ist über eine Festleitung mit anderen Büros der Firma in ganz Amerika verbunden. "Hört uns jemand?", fragt Stephen Cherry. Eine Börsenmaklerin aus Chicago erzählt später, dass sie eine Feuerwache in Süd-Manhattan alarmiert hat. Ihren Kollegen in New York spricht sie Mut zu: "Sie wissen, dass ihr da seid."

    9.02 Uhr, Südturm, 98. Stock, Aon Corporation. Noch 57 Minuten bis zum Einsturz
    "Hey, hier ist Sean, falls du diese Nachricht bekommst." Sean Rooney spricht auf den Anrufbeantworter seiner Frau Beverly Eckert. "Es hat eine Explosion in World Trade Eins gegeben - das ist das andere Gebäude. So wie es aussieht, wurde es von einem Flugzeug getroffen. Es brennt etwa ab dem 90. Stock. Und es ist, es ist - schrecklich. Bye."

    Die Menschen können die Hitze der lodernden Feuern, im gegenüberliegenden Turm spüren. Sie sehen, wie Leute sich aus den oberen Stockwerken stürzen. Viele beginnen ihre Büros zu verlassen. Doch über die Lautsprecheranlage wird verkündet, sie sollen bleiben. In dem unbeschädigten Gebäude, vermutet die Hausverwaltung, sei es sicherer als draußen, wo glühende Trümmer auf die Straße krachen.

    Es ist 9.02 Uhr, als Sean Rooney seiner Frau eine zweite Nachricht aufs Band spricht. "Liebling, hier ist noch mal Sean. Sieht so aus, als würden wir eine Weile im Gebäude festsitzen, hier ist es sicher, aber..." Er hält inne, als im Hintergrund eine Ansage zu hören ist. - "Wenn die Bedingungen auf Ihrer Etage es rechtfertigen, sollten Sie mit einer geordneten Evakuierung beginnen." - "Ich ruf dich später an", sagt Mr. Rooney, "Bye." Als er auflegt, jagt Flug 175 der United Airlines bereits über den New Yorker Hafen Richtung Manhattan.

    9.02 Uhr, Südturm, 81. Stock, Fuji Bank. Noch 57 Minuten bis zum Einsturz
    Ja, versichert Stanley Praimnath einem Anrufer aus Chicago, ihm gehe es gut. Er erzählt ihm, wie er bis zur Lobby des Südturms hinuntergefahren sei, aber ein Sicherheitsbeamter habe ihn zurückgeschickt. Jetzt sitzt er wieder an seinem Schreibtisch bei der Fuji Bank. "Mir geht's gut." Es sind seine letzten Worte, bevor er den grauen Schatten am Horizont wahrnimmt. Ein Flugzeug rast an der Freiheitsstatue vorbei. Der Jet wird größer und größer, bis Stanley den roten Streifen am Rumpf erkennen kann. Dann legt sich der Flieger in eine Kurve und steuert direkt auf ihn zu.

    "Allmächtiger Herr, jetzt musst du übernehmen", schreit er und lässt sich unter seinen Schreibtisch fallen. Um 9 Uhr, 2 Minuten und 54 Sekunden kracht die Nase des Fliegers genau in die Etage von Stanley Praimnath, etwa 40 Meter von seinem Schreibtisch entfernt. Stahlmöbel und Aluminiumflugzeugteile fliegen wie weiß glühende Geschosse durch das Büro. Die Druckwelle schleudert Computer und Schreibtische durch die Fenster und harkt bündelweise Elektrokabel aus der Wand. Dann scheint sich der Südturm zu biegen, das Stahlgerüst schwingt in Richtung Hudson River, bevor es zurückschnellt. Im Nordturm waren die Treppenhäuser im Kern des Gebäudes durch die Explosion sofort blockiert. Aber in der Einschlagzone des Südturms - zwischen den Etagen 78 bis 84 - liegen zwei Treppenhäuser näher zur Außenwand. Eines ist unbeschädigt geblieben.

    Stanley Praimnath, der unter seinem Schreibtisch kauert und auf ein glänzendes Stück Flugzeugaluminium starrt, das sich in seine Bürotür gebohrt hat, ahnt noch nichts von diesem Glück.

    Die Maschine ist mit schräg gestellten Flügeln in den Turm gekracht und hat eine Schneise durch sechs Stockwerke gerissen. Doch selbst im 84. Stock, dem Zentrum des Einschlags, haben Menschen überlebt, darunter Robert Coll, Dave Vera, Ronald DiFrancesco und Kevin York von Euro Brokers. Innerhalb von wenigen Minuten hasten sie zum nächsten Treppenhaus, angeführt von Brian Clark, einem Brandschutzbeauftragten der 84. Etage, der seine Taschenlampe und eine Pfeife dabei hat.

    Feiner Puder, vermischt mit leichtem Rauch, wabert durch das Treppenhaus. Als sie sich dem 81. Stockwerk nähern, treffen sie einen schlanken Mann und eine voluminöse Frau. "Ihr könnt nicht runter", schreit die Frau, "ihr müsst nach oben. Unten ist alles voller Rauch und Flammen." Eine fatale Fehleinschätzung. Hunderte von Menschen, die diese Stelle passieren, ziehen aus Angst vor dem vermeintlichen Höllenschlund den gleichen Schluss. Tatsächlich ist diese Treppe der einzige Weg aus dem Gebäude. Wer sie rechtzeitig erreicht, kann sich retten.

    Aber so einfach stellt sich die Situation der Gruppe nicht dar, als sie wenige Augenblicke nach dem Einschlag am Treppenabsatz steht. Sie besprechen die Alternativen. Brian Clark leuchtet jedem ins Gesicht und fragt: "Nach oben oder nach unten?" Die Debatte wird unterbrochen durch Schreie aus dem 81. Stock. "Helft mir! Helft mir!" Es ist Stanley Praimnath, der schreit: "Ich bin eingeklemmt. Lasst mich nicht hier!"

    "Komm schon, du schaffst es"
    Ohne weitere Diskussion trennt sich die Gruppe. Coll, York und Vera laufen zusammen mit der dicken Frau, dem dünnen Mann und zwei Kollegen von Euro Brokers die Treppe hinauf. York und Coll haken die dicke Frau unter. "Komm schon, du schaffst es. Wir halten zusammen." Clark und DiFrancesco eilen zu dem Mann, der hinter den Trümmern eingeschlossen ist. Stanley Praimnath sieht den Lichtstrahl der Taschenlampe und krabbelt über umgestürzte Schreibtische und Berge von Deckenplatten. Endlich erreicht er eine eingestürzte Wand, das letzte Hindernis, das ihn von dem Mann mit der Taschenlampe trennt.

    Die beiden kratzen und reißen an der Wand. Ein Nagel dringt durch Stanley Praimnaths Hand. Er schlägt ihn in der Dunkelheit an einer harten Fläche wieder heraus. Endlich haben die Männer Blickkontakt, aber sie sind noch getrennt. "Du musst springen, spring hoch, du hast keine andere Wahl", ruft Clark. In der Zwischenzeit ist DiFrancesco auf der Suche nach frischer Luft rund zehn Etagen nach oben gelaufen. Dort findet er die erste Gruppe, die sich für die Flucht Richtung Dach entschieden hat. Sie können das Treppenhaus nicht verlassen, die Türen zu den Stockwerken öffnen sich nicht. In dem schweren Rauch sind die Menschen außer Atem. Erschöpft legen sie sich hin, auch DiFrancesco.

    "Alle begannen einzuschlafen", erinnert er sich. Er weiß noch, wie er sich plötzlich aufrichtete und dachte: "Ich muss meine Frau und Kinder noch mal sehen." Er rennt hinunter. Praimnath, der mittlerweile an der Hand und am linken Bein blutet, springt. Clark hilft ihm, vollends über das Bollwerk zu klettern. Gemeinsam rennen sie zum Treppenhaus und hasten in die Tiefe. Die Treppen sind übersät mit zerbrochenen Gipsplatten. Durch die Ritzen der Wände im Treppenhaus züngeln Flammen. Aus zerborstenen Leitungen strömt Wasser und verwandelt die Treppe in eine rutschige Schlammpiste. Sie kommen an die Stelle, vor der die dicke Frau sie gewarnt hatte. Entweder war der Rauch nie so dick wie befürchtet, oder er ist zum Teil abgezogen. Offenbar war ihre Angst ein größeres Hindernis als es der Qualm und die Flammen waren. Die Treppe ist jedenfalls passierbar und bleibt es noch bis 30 Minuten nach dem Einschlag des Flugzeugs.

    .05 Uhr, Südturm, 78. Stock, Sky Lobby. Noch 54 Minuten bis zum Einsturz
    Mary Jos weiß nicht mehr, wie lange sie bewusstlos vor dem Expressaufzug auf dem Boden der Sky Lobby im 78. Stock gelegen hat. Das Erste, was sie fühlt, ist sengende Hitze am Rücken und im Gesicht. Instinktiv wälzt sie sich, weil sie glaubt zu brennen. Mitten im Raum und in den Aufzugschächten sieht sie eine Feuersbrunst. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Der große Raum, der gerade noch voller Menschen war, die nervös umhereilten und nicht wussten, ob sie das Gebäude verlassen oder zur Arbeit zurückkehren sollten, ist nun voller lebloser Körper.

    Decken, Wände, Fenster, der Informationskiosk, die Marmorverkleidung am Aufzug - was im Weg war, wurde pulverisiert, als die zweite Maschine ihren linken Flügel in den 78. Stock bohrte. Augenzeugen berichten, sie hätten ein grelles Licht gesehen, dann eine heiße Druckwelle gespürt und danach eine Erschütterung, die alles niederriss. Mary Jos, die blutend und verbrannt am Boden liegt, hat nur einen Gedanken: ihr Ehemann. "Ich werde nicht sterben", sagt sie sich.

    In den sechzehn Minuten zwischen den beiden Terrorattacken hatten die Menschen im Südturm kaum Zeit, den Horror, den sie gegenüber sahen, zu begreifen und eine Entscheidung zu treffen. Bevor das zweite Flugzeug einschlug, erzählen Überlebende später, fühlten sie sich in einer unbehaglichen Lage: Sie waren erleichtert über die Durchsagen, dass es in ihrem Gebäude sicherer sei als auf der Straße, und fürchteten gleichzeitig, dass das nicht stimmte. Sollten sie an ihren Schreibtischen sitzen, wenn gleich die Börse öffnete oder lieber doch unten schnell noch eine Tasse Kaffee holen? Bei Keefe, Bruyette & Woods verließ fast die gesamte Investmentabteilung das Gebäude - und überlebte. Beinahe alle Börsenmakler aber blieben - und starben.

    Rauf oder runter?
    Einer der Aktienhändler, Stephen Mulderry, ruft seinen Bruder Peter an und beschreibt das Feuer gegenüber im Nordturm. Dann blinkt sein Telefon. Stephen sagt: "Ich muss Schluss machen - die Lichter blinken, der Markt öffnet gleich." Rauf oder runter? Kurz bevor die United-Airlines-Maschine in den Südturm stürzt, sind die Menschen in der Sky Lobby im 78. Stock hin- und hergerissen. Kelly Reyher betritt einen der langsamen Aufzüge, um noch schnell sein elektronisches Notizbuch aus seinem Büro im 100. Stock bei der Aon Corporation zu holen. Judy Wein und Gigi Singer, auch bei Aon beschäftigt, überlegen, ob sie hinauffahren soll, um im 103. Stock ihre Portemonnaies zu holen. Lasst das doch, sagt ihr Chef, Howard L. Kestenbaum, und bietet an, ihnen das Geld für die Fahrkarte nach Hause vorzustrecken. Während einige ängstlich von ihren Lieben sprechen, zu denen sie schnell heimfahren wollen, zeigen andere noch Sinn für Humor. "Aber ich habe doch ein Pferd und zwei Katzen", witzelt Karen E. Hagerty, als sie aus der Aufzugkabine gedrängt wird.

    Im Augenblick des Einschlags wird es dunkel in der geschäftigen Lobby und totenstill. Einige wenige überleben, weil sie gerade in einer Nische lehnen. Andere sterben, weil sie zögern, in den überfüllten Aufzug zu steigen. Als Judy Wein wieder zu sich kommt, ist ihr rechter Arm gebrochen, drei Rippen sind angeknackst, und die rechte Lunge ist verletzt. Um sie herum liegen Menschen mit schrecklichen Verletzungen. Sie sind entweder bereits tot oder liegen im Sterben. Judy Wein ruft nach ihrem Chef, Howard Kestenbaum. Als sie ihn findet, erzählt sie später, ist er ausdruckslos, reglos, stumm. Karen Hagerty, die noch über ihre Katzen daheim gewitzelt hatte, gibt kein Lebenszeichen mehr von sich. Richard Gabrielle, ein weiterer Aon-Kollege, liegt mit gebrochenen Beinen unter einer umgestürzten Marmorplatte. Judy Wein versucht, den Stein zu bewegen. Gabrielle schreit vor Schmerzen auf und bittet sie aufzuhören.

    Langsam kommt Bewegung in die Überlebenden. Judy Wein findet Vijayashanker Paramsothy und Gigi Singer - beide haben keine lebensbedrohlichen Verletzungen. Kelly Reyher, der noch schnell nach oben fahren wollte, um seinen Palm Pilot zu holen, stemmt die Fahrstuhltür auf und klemmt seine Aktentasche dazwischen. Er krabbelt aus dem brennenden Aufzug und findet Donna Spira 150 Meter entfernt. Ihr Arm ist gebrochen und ihr Haar verbrannt, aber sie kann noch laufen.

    Dann erscheint ein unbekannter Mann - er hat ein rotes Taschentuch vor Mund und Nase gebunden - und sucht einen Feuerlöscher. Judy Wein erinnert sich später, wie der Mann zur Treppe zeigt und sagt: "Jeder, der noch laufen kann, steht jetzt auf und geht. Jeder, der anderen vielleicht helfen kann, sucht Leute, die Hilfe brauchen. Und dann runter." Sankara Velamuri und Diane Urban, Kollegen von Mary Jos, bleiben in der Sky Lobby, um zwei schwer verletzten Bekannten, Dianne Gladstone und Yeshavant Tembe, zu helfen. Auch Mr. Paramsothy bleibt zurück. Alle fünf werden sterben.

    Die anderen kämpfen sich in Gruppen zu zweit und dritt zur Treppe durch. Wenige Etagen tiefer rücken sie Trümmerteile an die Wand und schaffen einen schmalen Durchgang für die, die hoffentlich noch kommen. Für Ling Young zum Beispiel. Auch sie richtet sich nach den Anweisungen des Mannes mit dem roten Tuch: "Da lang zur Treppe." Er folgt ihr die Stufen hinunter. Ling Young bemerkt, dass er eine Frau auf seinem Rücken trägt. Als die Luft weiter unten besser wird, setzt er die Frau ab und geht wieder nach oben. Von den Dutzenden von Menschen, die in der Sky Lobby warteten, als das zweite Flugzeug einschlug, überleben nur zwölf.

    9.35 Uhr, Nordturm, 104. Stock, Cantor Fitzgerald, UND 106. Stock, Windows on the World. Noch 53 Minuten bis zum Einsturz
    In den obersten Etagen staut sich der Rauch. "Etwa fünf Stock unterhalb des Dachs stehen rund 50 Leute und versuchen zu atmen, indem sie die Nasen gegen die Fenster pressen", berichtet ein Polizist vom Hubschrauber aus. Im Restaurant im 106. Stock drängen sich etwa 70 Menschen in der Nähe der Fenster. "Alle anderen Räume sind voller Rauch", schreibt Stuart Lee von Data Synapse in einer E-Mail an sein Büro in Greenwich Village. "Jetzt gibt es gerade Streit, ob wir ein Fenster aufbrechen sollen. Zurzeit ist die Mehrheit dagegen."

    Im Konferenzraum im 104. Stock können die 50 Versammelten den Rauch eindämmen, indem sie ihre Anzugjacken in die Lüftungsschlitze stopfen. Andrew Rosenberg erzählt seinem Golfpartner am Handy: "Wir haben Computer gegen die Fenster geschleudert, um Luft reinzulassen." Danach telefoniert Rosenberg mit seiner Frau. "Oh, mein Gott", sagt er plötzlich, als in den Stockwerken über ihm Leute aus den Fenstern springen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Schicksal der Menschen in den Büros von Cantor Fitzgerald und im Restaurant Windows on the World besiegelt. Fast 900 kommen in den Etagen 101 bis 107 des Nordturms um. Mehr als ein Drittel der Opfer der Anschläge.

    .38 Uhr, Südturm, 97. Stock, Fiduciary Trust, und 93. Stock, Aon Corporation. Noch 21 Minuten bis zum Einsturz
    "Vorsicht, Ed!", ruft Alayne Gentul. Ihr Kollege Edgar Emery ist vom Tisch gerutscht, auf den er geklettert war, um mit seinem Blazer ein Lüftungsloch zu stopfen. Alaynes Mann wird am Telefon Zeuge, wie die beiden leitenden Angestellten von Fiduciary Trust im 97. Stock versuchen, gegen den beißenden Rauch anzukämpfen. Zu Beginn der Katastrophe hatten sie noch ihren Mitarbeitern geholfen, aus der Gefahrenzone zu fliehen. "Wenn du die Chemotherapie geschafft hast, dann wirst du auch die Treppen schaffen", ermunterte Emery eine erschöpfte Kollegin, während er eine Gruppe zum Expresslift im 78. Stock führte. Dann eilte er wieder nach oben. Alayne Gentul hatte mit resolutem Auftreten ("Geht jetzt, und geht geordnet!") mehreren Arbeitern aus dem 90. Stock das Leben gerettet. Zusammen mit Emery eilte sie dann in den 97. Stock, um sechs Kollegen aus der Computerabteilung zu evakuieren.

    Nun sind die beiden Helfer selbst gefangen. Das Letzte, was Elizabeth Emery hört, als sie mit ihrem Mann Edgar über Handy telefoniert, sind die Schreie seiner Kollegin Alayne Gentul: "Wo ist die Treppe? Wo ist die Treppe?" Edmund McNally, Leiter der Technologieabteilung bei Fiduciary Trust, telefoniert mit seiner Frau Liz, als plötzlich der Boden unter ihm nachgibt. McNally weist sie noch schnell auf die Policen seiner Lebensversicherung hin. "Er sagte mir, dass ich ihm das Wichtigste auf der Welt sei und dass er mich liebt." Sie dachte, dass dies bereits der Abschied für immer war, erzählt Liz McNally. Doch dann klingelt ihr Telefon noch einmal. Etwas verlegen gesteht ihr Mann, dass er als Überraschung zu ihrem 40. Geburtstag eine gemeinsame Reise nach Rom gebucht hat. "Liz", sagt er, "die Reise musst du stornieren."

    9.45 Uhr, Südturm, 105. Stock. Noch 14 Minuten bis zum Einsturz
    Für die Menschen in den oberen Stockwerken ist die Flucht zum Dach die naheliegendste Lösung. Im Februar 1993, als Terroristen eine Bombe im Keller des Nordturmes gezündet hatten, waren etliche Menschen mit Polizeihubschraubern vom Dach des Gebäudes evakuiert worden. Dutzende fliehen nun wieder nach oben - in eine Sackgasse. Frank Doyle, Börsenmakler bei Keefe, Bruyette & Woods, schafft es bis zur 105. Etage. Er ruft seine Frau Kimmy Chedell an, um ihr noch zu sagen, dass er sie und die Kinder liebt. Später erinnert sie sich an seine Worte: "Ich bin zum Dach hochgelaufen, aber die Türen sind abgeschlossen. Du musst die Notrufnummer 911 anrufen und ihnen sagen, dass wir in der Falle sitzen."

    Die Notrufzentrale weiß längst Bescheid. Schon um 9.27 Uhr hatte sich eine Gruppe vom nördlichen Konferenzraum im 105. Stock gemeldet. Um 9.32 Uhr geht ein weiterer Notruf vom 105. Stock ein, mit der Bitte, die Tür zum Dach aufzuschließen. Um 9.38 Uhr ruft Kevin Cosgrove, ein Brandwart der Firma Aon, an. Roko Camaj, ein Fensterputzer, meldet sich per Telefon bei seiner Frau: "Ich bin in der 105. Etage, hier sind mindestens 200 Menschen." Er besitzt einen Schlüssel zum Dach. Aber dieser eine Schlüssel allein reicht nicht, um die Tür zu öffnen: Die Sicherheitsbeamten der Kommandozentrale in der 22. Etage müssen zusätzlich einen Summer drücken. Doch die Kommandozentrale ist längst zerstört und geräumt.

    Sean Rooney erreicht seine Frau Beverly Eckert. Er hatte erst versucht, nach unten zu laufen, war aber irgendwann nicht weitergekommen. Danach lief er 30 Stockwerke nach oben. Nun steht er vor einer verschlossenen Dachtür. Er bittet Beverly anhand der Fernsehbilder genau zu beschreiben, wo das Feuer ist. Er kann sich nicht erklären, warum das Dach abgeschlossen ist. Sie drängt ihn, es noch mal zu versuchen, während sie auf einer zweiten Leitung den Notruf wählt. Er legt den Hörer hin und meldet sich wenige Minuten später zurück. Die Tür bewege sich nicht, sagt er, obwohl er darauf rumhämmere.

    "Er machte sich Sorgen wegen der Flammen", erzählt Beverly Eckert später. "Ich versicherte ihm immer wieder, dass in seiner Nähe kein Feuer sei. Aber er sagte, dass die Fenster heiß seien. Sein Atem ging immer schwerer." Plötzlich brechen die Decken zusammen, die Fußböden geben nach. Sean ist allein in einem Raum, der sich langsam mit Rauch füllt. "Er sagte mir, dass er mich liebt. Dann hörte ich eine laute Explosion."

    10 Uhr, Nordturm, 92. Stock, Carr Futures. Noch 28 Minuten bis zum Einsturz
    "Mama", fragt Jeffrey Nussbaum. "Was war das für eine Explosion?" Mehr als 20 Kilometer entfernt in Oceanside, New York, kann Arline Nussbaum im Fernseher sehen, was ihr Sohn nicht sehen kann, obwohl er im 92. Stock des Nordturms nur 50 Meter entfernt ist, als das Unvorstellbare geschieht. "Der andere Turm ist gerade zusammengestürzt", erklärt Arline. Sie erinnert sich an seine letzten Worte: "Oh, mein Gott", sagt Jeffrey. "Ich liebe dich." Dann bricht die Leitung zusammen. Der Nordturm, der 16 Minuten vor dem Südturm angegriffen wurde, steht noch. Aber auch sein Ende kündigt sich an. Die Anrufe werden weniger, und immer mehr Menschen stürzen sich aus den Fenstern.

    Jeffreys Firma, Carr Futures, befindet sich auf der 92. Etage, zwei Stockwerke unter der Einschlagstelle. Die Mitarbeiter, einige hatten sich an diesem Morgen schon um 8 Uhr zu einer außerplanmäßigen Konferenz eingefunden, sind zunächst mit dem Schrecken davongekommen. Aber nun sitzen 40 Menschen in der Falle, die Türen haben sich verzogen und lassen sich nicht mehr öffnen.

    Um 10.18 Uhr erreicht Tom McGinnis seine Frau Iliana. "Es sieht sehr, sehr schlimm aus", sagt er. "Ich weiß", sagt Iliana. "Es ist ganz schlecht für unser Land; es sieht aus wie der dritte Weltkrieg." Etwas am Ton ihres Mannes beunruhigt sie. "Bist du okay, ja oder nein?", fragt sie. "Wir sind in einem Zimmer im 92. Stock, und wir kommen nicht raus", sagt Tom. "Ich liebe dich, kümmere dich um Caitlin." Aber Iliana will keine Abschiedsworte hören. "Verlier jetzt nicht die Ruhe", sagt sie, "ihr Jungs wisst euch doch immer zu helfen. Ihr werdet da rauskommen." "Begreifst du denn nicht", sagt Tom, "über uns springen Leute aus den Fenstern."

    Es ist 10.25 Uhr. Das Feuer nähert sich der Westseite des 92. Stocks. Noch ein letztes Mal sagt Tom Iliana, wie sehr er sie und ihre Tochter Caitlin liebt. "Leg nicht auf", fleht Iliana. "Ich muss runter auf den Boden", antwortet Tom. Die Verbindung bricht ab. Es ist 10.26 Uhr, zwei Minuten bevor auch dieser Turm in sich zusammenfällt. Das World Trade Center verstummt.

    Jim Dwyer, Eric Lipton, Kevin Flynn, James Glanz, Ford Fessenden


  • Der 11. September - Tag des TerrorsDatum11.09.2005 23:11
    Mythos und der 11. September 2001.
    Turmsymbolik in visuellen Medien.

    Hausarbeit von Jiré Emine Gözen
    endgültige Fassung vom 13. November 2002.


    Abstract:
    In diesem Text geht es um die bekannten Bilder der Terroranschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York. Kurz wird vorgestellt, in welcher Form dieses Ereignis im Fernsehen aufgenommen wurde und welche Überlegungen es zu Parallelen in populären Kinofilmen gibt.
    Mir ist es jedoch wichtig, darüber hinaus zu schauen, welche älteren Bilder in den Fernsehaufnahmen noch angesprochen werden und wie mit der Symbolik von Türmen bestimmte mythische Subtexte aktualisiert werden. Mit diesen Erkenntnissen läßt sich die 'Inszenierung' der Terroranschläge besser verstehen und erahnen, warum diese Szenen dermaßen viele Menschen auf der ganzen Welt so tief und so emotional berüht haben.

    Einleitung
    Nach dem 11. September 2001 gab es eine Vielzahl von verschiedenen Ansätzen, in denen der Versuch gemacht wurde, sich mit den Ereignissen dieses Tages auseinanderzusetzen. Immer wieder rückten bei diesen Betrachtungen die Fernsehaufnahmen der Terroranschläge in New York in den Vordergrund.
    Der Vergleich mit Szenen aus dem Kino oder Fernsehen kam schnell auf. Stets gingen diese Betrachtungen mit einem Ausdruck der Verwunderung darüber einher, die Bilder bereits zu kennen, sie bereits gesehen zu haben. Der Journalist Michael Althen schrieb in diesem Zusammenhang:

    "Im Grunde sah die Wirklichkeit so schrecklich unprofessionell aus, daß wir nicht an sie glauben mochten. Man hatte das - man verzeihe den Ausdruck - tausendmal besser gesehen." (Althen)
    Der Filmwissenschaftler Georg Seeßlen sprach in diesem Kontext von einem Déjà-Vu, ausgelöst durch die Vielzahl von Katastrophenfilmen, welche das vermeintliche Wiedererkennen der Aufnahmen vom 11. September hervorriefen.
    Dieser Art der Betrachtungen ist auch gemeinsam, daß sie von den Emotionen und Gedanken handeln, die durch diese Bilder erzeugt wurden. In dem Versuch, die vielfältigen emotionalen Reaktionen auf das Ereignis zu verbalisieren, ist schnell die Rede von Schaulust, morbider Faszination, unbegreiflichem Entsetzen und so weiter. Es fehlt aber an einem Versuch der Erklärung, warum diese Bilder so stark wirken und aus welchem Grund sie sowohl im Kino als auch in der Realität einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen und immer wieder Faszination ausüben.
    Der Ansatz der vorliegenden Arbeit besteht in der Annahme, daß es sich um mehr handelt als manifeste Bedeutungen, die in den Bildern des 11. Septembers angesprochen werden. Unter Berücksichtigung dieser Hypothese möchte ich eine Erklärung suchen für die Emotionen der Angst, Trauer und Betroffenheit, die anscheinend von Bildern der Zerstörung von hohen Gebäuden ausgelöst werden.

    Zum 11. September 2001

    Am 11. September des Jahres 2001 kollidierte eine Boeing 767 der American Airlines um 8:45 Ortszeit mit dem Nordturm des World Trade Centers in New York und explodierte. Kurz danach wurde allgemein noch davon ausgegangen, daß es sich um einen Unfall handelt.
    Nur wenige Minuten nach dem Einschlag, der den Nordturm in Brand gesetzt hatte, rückten die ersten Einheiten der New Yorker Feuerwehr an und richteten im Erdgeschoß des Turmes ihre Einsatzzentrale ein. Als dann eine Viertelstunde später, um 9:03 Uhr Ortszeit, eine weitere Boeing 767 der United Airlines in dem Südturm des Word Trade Centers hineinraste, wurde langsam klar, daß es sich wahrscheinlich um keinen Zufall handelt.
    Es wurde begonnen, den Flugverkehr in den Vereinigten Staaten einzustellen. Flugzeuge, die sich noch in der Luft befanden, wurden zum nächsten US-Flughafen oder nach Kanada umgeleitet. In manchen Teilen des Landes wurde der Zugverkehr eingestellt und schließlich wurden alle Grenzen des Landes geschlossen.
    Vierzig Minuten nach dem zweiten Einschlag in das World Trade Center stürzte gegen 9:43 Uhr eine Boeing 737 in das Pentagon.
    Um 10:05 stürzte der Südturm des World Trade Centers vor laufenden Kameras in sich zusammen. Etwa 20 Minuten später, um 10:28, stürzte auch der Nordturm des World Trade Centers ein. Zum Zeitpunkt des Einsturzes waren beide Türme oberhalb der Einschlagsstockwerke bei weitem noch nicht evakuiert. Im Südturm befanden sich zum Zeitpunkt des Einsturzes noch eine Vielzahl an Rettungskräften, Feuerwehrleuten und Polizisten, die versuchten, dort ihre Arbeit zu verrichten. Auch diese Personen wurden durch den Einsturz unter den Trümmern begraben.
    Um 10:29 stürzte schließlich eine Boeing 757 der United Airlines in der Nähe von Pittsburgh über unbewohntem Gebiet ab.
    Um 13:27 wurde in Washington und New York der Notstand ausgerufen und US-Präsident Bush erklärte in einer ersten Stellungnahme dem Terrorismus den Krieg.
    So weit die Fakten.

    Aufgriff des Ereignisses in den visuellen Medien:

    Während der erste Einschlag in den Nordturm des World Trade Centers nur in Form von Amateur-Videoaufnahmen festgehalten werden konnte, waren zum Zeitpunkt des Einschlags in den Südturm bereits mehrere Fernsehstationen, vertreten durch Hubschrauber, Moderatoren und Sendebusse am Ort des Geschehens. So geschah es, daß der zweite Einschlag live auf den Bildschirmen übertragen wurde.
    Die Nachricht der Ereignisse in New York erreichte Deutschland einige Minuten nach 15 Uhr und wurde direkt an die zu diesem Zeitpunkt laufenden Nachrrichtensendungen weitergegeben.

    "[...] und soeben erreichen uns folgende Informationen und folgende Bilder. Aus dem World Trade Center in New York steigt dichter Rauch auf. Nach Berichten US-amerikanischer Fernsehsender ist eine zweimotorige Kleinmaschine in einen der beiden Türme des Wolkenkratzers gestürzt. Wir werden uns bemühen, daß wir Ihnen weitere Informationen noch im Lauf dieser Sendung nahe bringen können. Aber zunächst weiter mit der Haushaltsdebatte in Berlin [...]" (ARD Tagesschau vom 11.09.2001 um 15 Uhr, siehe auch Archiv der Beiträge)
    Im Laufe der nächsten Stunde wurde nach und nach zusammengetragen, was sich tatsächlich in den USA ereignet hatte. Fast alle deutschen Sender unterbrachen ihr laufendes Programm, um in Sondersendungen über die Geschehnisse in den USA zu berichten.
    Zu dieser Zeit waren fast alle wichtigen Internetnachrichtenseiten wegen Überlastung zusammengebrochen. Damit konnte dem Anspruch dieses Mediums, jederzeit in Echtzeit Informationen zu liefern, in diesem Fall nicht nachgekommen werden.
    Im Fernsehen kamen zu den bereits vorhandenen Bildern immer mehr Aufnahmen, die von Amateuren mit Videokameras aufgenommen wurden. Viele Sendungen ließen die Bilder der von den Flugzeugen attackierten Türme bis hin zu ihrem Zusammensturz zumindest im Bildhintergrund in einer Endlosschleife laufen. Die Berichterstattung wurde außerdem immer wieder unterbrochen, um die nach Worten ringenden Moderatoren durch die Bilder abzulösen. Immer wieder wurden die Videos von den Einschlägen in das World Trade Center gezeigt, die brennenden Türme, die herabfallende Menschen, der Kollaps der Gebäude, Staubwolken, fliehende Menschen, erschöpfte Helfer, verzweifelte Angehörige, die Ruinen am Ground Zero und Panoramaaufnahmen von Manhattan.
    Es war an diesem Tag nicht möglich, an den Bildern vorbeizuschauen. Es war auch unmöglich, diese Bilder nicht in einer anhaltenden Wiederholung zu sehen. Die Endlosschleife wurde zum Zeichen für diese Bilder. Und das wieder und wieder und wieder.

    Gefangen im Déjà-Vu:
    Den Attentaten des 11. Septembers wurde, schon wenige Stunden nach dem sie sich ereignet hatten, eine globale Bedeutung zugesprochen. Die dem Ereignis zugehörigen Bilder und Inhalte wurden durch Massenmedien verbreitet und kommentiert. Noch Wochen später waren sie der Schwerpunkt verschiedener Zeitungen, Magazine, Fernsehsendungen, Internetseiten usw. Die Bedeutung der Ereignisse wurde in einen massenkulturellen Diskurs aufgenommen, der bis heute nicht abgerissen ist.
    Georg Seeßlen erkennt in den Bildern des attackierten World Trade Center eine Analogie zu verschiedenen Actionfilmen. Die Bilder eines Actionfilmes, an den die Ereignisse des 11. Septembers erinnern, haben durch ihren Unterhaltungscharakter zwar einen anderen Kontext. Doch dadurch, daß die bekannten Bilder aus Actionfilmen einem Erzählstrang folgen, wird auf diesen Erzählstrang mit den dazugehörigen Bildern, sozusagen 'im Kopf' auch in der Realität zurückgegriffen:

    "Wir kennen die Bilder, die wir vom Geschehen in New York über das Fernsehen erhalten haben. Das gekaperte Flugzeug voller verzweifelter Menschen auf einem 'Flug in den Tod'. Das in Flammen stehende Hochhaus. Die in Schutt und Asche fallende Metropole, die fliehenden Menschen. Wir kennen diese Bilder aus dem Kino so gut, dass ihre Wiederkehr in der Wirklichkeit wie ein Phantasma zweiten Grades wirkt. Wir haben das alles schon, einzeln und als Kollektiv, geträumt. Das heißt: Wir haben es auf eine besondere Art 'gewusst'." (Seeßlen: "Das furchtbare Bild")
    Seeßlen beschreibt hier, daß in den Köpfen der Menschen durch die manifesten Bildinhalte des Ereignisses eine ganze Reihe von weiteren Bilder ausgelöst wurden. Diese Bilder sind vorbewußt vorhanden, sie wurden in diesem Zusammenhang nicht tatsächlich gezeigt. Es gibt keine Aufnahmen von den letzten Minuten der Passagieren der entführten Flugzeuge. Es gibt keine Bilder, die in einer Parallelmontage das Bild des Flugzeuges aus dem Blickwinkel der Personen zeigt, auf die es zurast. Aber an genau solche Szene wird bei dem Betrachten der Bilder des realen Ereignisses gedacht. Diese Bilder lösen Entsetzten, Angst und Mitgefühl aus.
    Das vermeintliche Wiedererkennen der Bilder bezeichnet Seeßlen als Déjà-Vu. Denn obwohl geglaubt wird, die Bilder schon vorher gekannt zu haben, war das Ereignis und damit die dazugehörigen realen Bilder noch nicht vorhanden.
    Dieses Déjà-Vu wird Seeßlen zufolge ausgelöst durch die Rezeption vergleichbarer Bilder im Kino.

    "Merkwürdigerweise allerdings kommen die Bilder dieses so radikal neuen Ereignisses in Form eines bizarren Déjà-Vu über uns. Eine Katastrophe die schon längst in unserer Bildwelt spukte, im Kino sowieso." (Seeßlen: "Die visuelle Kriegserklärung")
    Als problematisch stuft Seeßlen die endlose Wiederholung der Bilder des realen Ereignisses im Fernsehen ein. Sie scheinen in seine Augen dadurch an Wirklichkeit zu verlieren. Durch diesen Verlust an Bezug zur Realität, den Seeßlen als Entwirklichung bezeichnet, werden die Bilder tatsächlich wieder zu Kino.

    Zwischenstand:
    Unabhängig von den tatsächlichen Ereignissen wird in diesem Fall durch die Bilder etwas in den Menschen ausgelöst. Es geht meiner Ansicht nach aber um mehr als Mitgefühl und Entsetzen über die Katastrophe. Die Fernsehbilder müssen in diesem Fall mehr als nur eine Dokumentation der Realität sein. Die Bilder lösen aber auch mehr aus als eine Erinnerung an den letzen Kinobesuch. Die Wirkung der Bilder verursacht tiefe Gefühle der Angst vor Chaos und Zerstörung einer Weltordnung. Bilder sind in diesem Fall mehr als nur Abbilder.

    Das Bild als magische Kommunikation

    "Wir richten unser Handeln und unsere Reflexionen nach Orientierungen, die uns über Zeichen, Symbole und Bilder vermittelt werden. Die von uns konstruierten Zeichen-, Symbol- und Verweisungssysteme repräsentieren die Strukturen unserer Sinnorientierung. Aus den Strukturen unserer Wahrnehmung und Zeichenverwendung werden Hypothesen über die Strukturiertheit der Welt konstruiert." (Röll S.69)
    Bilder werden als "als magische Kommunikation" (Röll S.78) gebraucht. Diese Art des Bildgebrauchs ist dem mythischen Denken zuzuordnen. Bildern wird ein Eigenwesen zugeschrieben, welches mit mythischen Inhalten besetzt wird. Das im Bild Abgebildete wird zu einem eigenen, einem mythischen Wesen stilisiert. Aus diesem Denken heraus werden Fahnen von feindlichen Nationen verbrannt oder Bilder von Herrscherfiguren zerstört. In dieser Handlung kommt zu Ausdruck, daß dem Bild ein Wesen zugesprochen wird. In der Zerstörung des Bildes liegt dann der Versuch, das Wesen des im Bild Dargestellten zu vernichten.
    Diese Belebung des Bildes wird als Reanimismus bezeichnet. Dem Medienwissenschaftler Vilém Flusser zufolge heißt dies, daß Bilder die Welt nicht mehr deuten, sondern sie wieder be-deuten. Es geht hier also um eine Aufladung der Bildbedeutung, Bilder erhalten einen Subtext. Diese Ebene des Subtextes richtet sich nicht an das rationale Bewußtsein. Dennoch steuert der Subtext die Rezeption eines Bildes. Der Medienpädagoge Franz Josef Röll geht davon aus, daß die in den Bildern enthaltenen Botschaften/Subtexte zur Wahrnehmungscodierung und schließlich zu 'Beseelung' des Bildes führen.
    Bilder bestehen aus Symbolen, die sich aus einem archetypischen und in der Regel je nach Kultur eigenständigen Zeichenvorrat zusammensetzen.

    "Aufgrund der Beobachtung aktueller Medienwelt läßt sich die Vermutung äußern, daß symbolische Bildwelten Einfluß auf das Erleben, Handeln und die jeweilige Weltanschauung von Menschen ausüben können. Phänomenologisch läßt sich nachweisen, daß in den heute produzierten Medienprodukten, besonders ausgeprägt im Videoclip, in der Werbung, Computerspielen und im Spielfilm, bewußt oder unbewußt symbolisch 'angereicherte' Bildmotive Verwendung finden." (Röll S.83)
    Wenn Bildmotive als symbolisch angereichert betrachtet werden, ist die Ausgangsthese des Strukturalismus, Bilder als Texte zu lesen, hilfreich. Texte, die verschiedene Bedeutungen zulassen, bezeichnet der Semiotiker Umberto Eco als offene Texte. Sie erlauben es, auf verschiedene Arten decodiert zu werden. Fiktionale Werke wie Filme, Romane etc. sind immer offene Texte (im Unterschied zu geschlossenen pragmatischen Texten wie Gebrauchsanleitungen). Diese können aus künstlerischen, philosophischen, kulturwissenschaftlichen, psychoanalytischen, u.v.a. Gesichtspunkten betrachtet werden und damit eine Vielzahl von Interpretationen zulassen, die auch widersprüchlich sein können.


    Funktionen des Mythos:

    "Betrachtet man das symbolische Denken aus der Sicht kollektiver Deutungsmuster, bedarf es der Hinzuziehung des Mythos. Der Mythos läßt sich als ein vorwissenschaftlich-vorphilosophisches System der Welterklärung bezeichnen. Mythen sind Geschichten, die Ausdruck geben von unserer Suche nach Wahrheit, Sinn und Bedeutung. Es handelt sich um narrative Formen, in denen Deutungen von gesellschaftlichen Ritualen gegeben werden." (Röll S.84)
    Mythen liefern ein geschlossenes System, in dem die Welt erklärt wird und somit jede Hinterfragung überflüssig wird. Der Mythos schafft Weltvertrauen durch Vermittlung von fundamentalen Wahrheiten.
    In der Mythenforschung wird davon ausgegangen, daß in Bildern enthaltene mythische Subtexte nicht nur verstanden werden, sondern daß auch der Erfolg von fiktionalen Werken durch Nutzung von Mythen und symbolischen Bildwelten erklärbar wird.
    Gerade im Spielfilm werden Mythen immer wieder zitiert und bearbeitet. Eines der populärsten Beispiele ist die Filmtrilogie "Star Wars" (George Lucas, dt. Titel "Krieg der Sterne", 1977, 1980, 1983), die nach dem Model des Monomythos von Joseph Campbell konstruiert ist. Hier wird die archetypische Reise des Helden mit ihren verschiedenen Stationen erzählt (Davor, Alltagswelt/Stabilität, die Störung des Gleichgewichtes, die Berufung des Helden, der Widerstand des Helden, der Alte Weise, die Entscheidung für die Aktivität, der Widerstand des Antihelden, der Kampf auf Leben und Tod, das Ziel, der Endkampf, die Wiederherstellung des Gleichgewichtes).

    "Mythologische Elemente werden im kommerziellen Film der Gegenwart bewußt eingesetzt, weil die Erfahrung den Produzenten dieser Filme gezeigt hat, daß dann und nur dann hohe Sichtungsquoten und vor allem viele Mehrfachsichtungen und Videovermarktungschancen bestehen, wenn die Struktur der Handlung (Strukturebene) und die Handlung selbst (Handlungsebene) dem Rhythmus des Monomythos folgt. [...] Diese 'mythologische Rhythmik' in der Strukturebene ist eine Bedingung für den kommerziellen Erfolg eines Filmes; soweit verantwortbar, wird von den Produzenten auch auf der Handlungsebene mit mythologischen Elementen - Mythologemen - oder sogar gesamten mythologischen Grundlinien gearbeitet." (Wessely S.93)
    Darüber hinaus werden Mythen überall dort verwendet, wo es darum geht, Öffentlichkeit anzusprechen und bestimmte Sichtweisen zu etablieren.
    Nach dem Philosoph Roland Barthes ist der Mythos ein Mitteilungssystem "eine Weise des Bedeutens, eine Form" (Röll S.110), alles kann Mythos werden. Es ist von sekundärer Bedeutung, wie der Mythos vermittelt wird. Das Objekt definiert den Mythos nicht, sondern bietet lediglich die Fläche für den mythisch aufgeladenen Inhalt.

    "Vermittler mythischer Aussagen kann jede verbale oder visuelle Darstellungsform sein, wie z.B. der geschriebene Diskurs, der Sport, das Gemälde, das Plakat, der Ritus, die Fotografie, der Film und die Werbung." (Röll S.111)
    Demzufolge findet eine andauernde Konfrontation mit Bildern und Texten statt, die mit mythischen Bedeutungen aufgeladen sind.

    Turm als Mythos:
    Das Wissen, daß Bildern mit mythischen Subtexten besetzt sind, kann hilfreich sein, um verständlich zu machen, aus welchem Grund die Bilder des 11. Septembers so starke Reaktionen auslösen. Die Bilder dieses Tages sind meines Erachtens auf einer tieferen Ebene mit mythisch aufgeladenen Subtexten besetzt. Ganz zentrale Bedeutung nehmen in diesem Zusammenhang die Bilder der mit dem World Trade Center kollidierenden Flugzeuge, die brennenden Zwillingstürme und die zusammenstürzenden Hochhäuser ein. Nachgeordnet (und trotzdem relevant) erscheinen mir die Aufnahmen der aus dem Gebäude springenden Menschen und der gewaltigen Zerstörung am Boden nach dem Zusammensturz der Bauwerke.
    Die Bilder der Zerstörungsszene des World Trade Centers bilden eine Ereigniskette, die durchaus einen kausalen Zusammenhang hat. Trotzdem erscheint es immer wieder so, als ob von einem Bild und nicht von einer Szene die Rede wäre. Es scheint, als ob eine Bildfolge, in der eine so starke Verdichtung von Macht und Ohnmacht, von Gewalt, Herrschaft, Stärke und Bewegung enthalten ist, einfach eingefroren wurde. In dieser Konservierung verliert die Szene Zeit und Raum und wird somit zu einem Standbild. In diesem Bild findet keine Bewegung mehr statt, es wird zu einer in sich geschlossene Szene, die erstarrt. Das Paradoxe ist, daß diese Szene gerade durch die ewige Wiederholung der Bilder zu eben diesem Standbild wurde.
    Eine Konservierung von Ereignissen, Bildern, Gedanken, Erlebnissen durch Wiederholung geschieht nach der psychoanalytischen Theorie auch in einer zwangsneurotischen Abwehr. Die Funktionsweise dieser Abwehr ist es, angsteinflößende Objekte, Gedanken oder Wünsche durch eine wiederholte Tat in ein Ritual einzubinden. Durch diese Einbindung wird das angsteinflößende Objekt vermeintlich unter Kontrolle gebracht. So muß das Objekt zwar nicht mehr mit Angst besetzt werden, doch es darf nur noch in diesem einen, ritualisierten, starren Zustand existieren. Diese Erstarrung durch Wiederholung und Einbindung in ein Ritual ist auch mit der Zerstörungsszene des World Trade Centers geschehen. Durch die Wiederholung wurde aus der bewegten Szene ein Standbild, in dem die latenten Inhalte zwar weiter existieren, in gewisser Form jedoch von Zeit und Raum und damit von der Realität abgesondert werden. Ein Erstarren der Bilder in diesem Sinne bedeutet auch, daß keine wirkliche Auseinandersetzung mit den Ereignissen möglich ist.
    Die Aufnahmen der beiden in die Gebäude fliegenden Flugzeuge, der Explosionen und brennenden Türme, die schließlich einstürzen und eine Trümmerlandschaft hinterlassen, werden zu einem Bild. Diese gezeigte Ereigniskette ist der 11. September.
    Ausgehend von der Begrifflichkeit Seeßlens eines Déjà-Vus möchte ich anhand verschiedener Beispiele darstellen, daß sich dieses Déjà-Vu nicht nur auf Bilder, die aus dem Kino bekannt sind, zurückführen läßt.
    Die Entschlüsselung unbewußter Symboliken findet ihren Anfang nicht erst in der psychoanalytischen Traumdeutung, sondern ist Jahrtausende alt. Einen Ansatz bieten beispielsweise die Tarotkarten. Diese beschäftigen sich stark mit religiöser Symbolik und sind noch bis heute gebräuchlich.
    Von Interesse ist in Bezug auf das World Trade Center und den Begriff Mythos vor allem die Karte "Der Turm":

    "The image of the Tower in the Tarot Major Arcana is one of the scariest in the deck, even more so than its closest competitors - Death and The Devil. It speaks of catastrophic and sudden change, often through a totally unexpected and massively destructive mechanism, resulting in a fall from a great height. On September 11th, we watched the Tower play out on our television screens, with all the elements of surprise, disbelief and ultimate horror brought together in one cataclysmic moment. A symbol of confident world commerce, the World Trade Center, was turned into twisted rubble in the space of an hour. The terrifying image of this ancient card has come to life, live and in color." (Johnson)
    Tarotkarten tauchten in Europa um das 14. Jahrhundert auf und gehen auf einen orientalischen Ursprung zurück. Die Karte "Der Turm" wurde nur dem europäischen Tarot beigefügt und ersetzte die Karte des Feuers bzw. des Höllentors. Der Psychoanalytiker C. G. Jung bezeichnete die auf den Bilder dargestellten Inhalte und Themen der Tarotkarten als Urbilder bzw. Archetypen der menschlichen Seele.
    Die Turmkarte zeigt in den meisten Tarotsets das Bild eines sehr hohen Turmes. Dieser Turm steht in Flammen. In einigen Tarotvarianten wird der Turm von einem Blitz aus dem Himmel getroffen. Der brennende Turm ist auf dem Bild stark beschädigt, in einigen Fällen ist er in der Mitte zerbrochen und gerade am Einstürzen. Zwei Personen fallen kopfüber aus den Fenstern des Turmes. Auf den Gesichtern der herabstürzenden Personen spiegeln sich Furcht, Unverständnis und Verwunderung.
    Diese Abbildung zeigt keinen Schnappschuß, sondern zeitlich aufeinanderfolgende Bilder, die zu einem Bild verdichtet wurden. So ist dies die komprimierte Darstellung einer Ereigniskette, die natürlich auch als solche gelesen wurde.
    Die Turmkarte wird Aussagen zufolge von den Nutzern des Tarots als eine der erschreckendsten und beängstigsten Karten eingestuft. Im Gegensatz zu den anderen, sehr farbenfrohen Karten dominiert hier die Farbe Schwarz das Bild. Diese Eigenschaft teilt die Turmkarte mit den Karten "Der Tod" und "Der Teufel".
    Die Turmkarte steht zunächst für Zerstörung. Diese Zerstörung bedeutet im weiteren Sinne den Zusammenbruch einer Weltordnung, einen Sturz in die Tiefe, ein plötzliches Ereignis, einen Fall aus großer Höhe, Trennung, Verlust alter Werte. Paradigmenwechsel und Offenbarung sind weitere mögliche Interpretation des Bildes. Der abgebildete Turm kann außerdem als das Haus Gottes gesehen werden.
    Die symbolische Bedeutung des Bildes eines einstürzenden Turms wurde also schon lange vor den Bildern des World Trade Centers als wichtiges Symbol erkannt und entsprechend benutzt. Einen möglichen Ursprung dieses Symbols findet sich in der Bibel, genauer in der Geschichte des Turmes zu Babel.

    "Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. Und der Herr sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und haben das angefangen zu tun; sie werden nicht ablassen von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, laßt uns herniederfahren und ihre Sprache daselbst verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! Also zerstreute sie der Herr von dort alle Länder, daß sie mußten aufhören die Stadt zu bauen. Daher heißt ihr Name Babel, daß der Herr daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder." (Luther-Bibel: Mose 1 Kapitel 11, Vers 1-9)
    Der Turm von Babel symbolisiert den grenzüberschreitenden Wunsch des Menschen, bis in den Himmel zu reichen und damit in göttliche Sphären einzudringen. Die Geschichte erzählt von der menschlichen Maßlosigkeit und Überheblichkeit, für welche die Menschen später die Strafe Gottes ereilte. Die bis dato herrschende Ordnung wurde 'von oben' zerstört. Es folgten Chaos und Tod. Eine Großmacht und eine Weltordnung wurden zerstört.
    Doch nicht nur das Alte Testament erwähnt überaus häufig Babel als Paradebeispiel für menschliche Überheblichkeit und den Gottes Zorn, auch im Neuen Testament wird ein zukünftiges "Babylon" als Greuel auf Erden bezeichnet, welches den besonderen Zorn Gottes hervorruft. In der Offenbarung des Johannes (im katholischen Sprachgebrauch "Die Apokalypse"), einem bis heute prägenden und kulturgeschichtlich überaus wirksamen Text, steht Babylon für die Hauptstadt eines moralisch korrumpierten Weltreichs, welches die 'gerechte' (und überaus blutige) Strafe Gottes erfährt. Dieses 'Bild' ist Hintergrund für viele apokalyptische Vision und geht oft einher mit der Zerstörung des Turms zu Babel, wenngleich dies auch zunächst zwei unterschiedliche Bibelstellen sind, steht dahinter doch dieselbe 'Moral von der Geschichte'.

    Verwendung der Turmsymbolik im Film:
    Türme (und Hochhäuser) symbolisieren folglich von je her einen Herrschaftsanspruch und sind Sinnbild einer etablierten Weltordnung. Ihre Zerstörung weist demnach über den manifesten Schaden hinaus und trifft auch das Wesen von dem, was sie symbolisieren. Folglich wäre es zu überprüfen, ob und wie solche Metaphern in Gesellschaften aufkommen, die eine tatsächliche Zerstörung ihrer traditionellen Ordnung erfahren haben. Als älteres Beispiel könnten die Filme der Weimarer Republik am Beispiel von "Metropolis" (Fritz Lang, 1927) dienen.
    Der Zusammenbruch des Kaiserreichs und der bis dahin herrschenden gesellschaftlichen Ordnung resultierten in einem Gefühl der Orientierungslosigkeit, der Unsicherheit und der Wurzellosigkeit. Diese Mentalität kommt in den bekannten deutschen Filmen aus jener Zeit besonders auf der Ebene der Filmarchitektur zum Ausdruck. In Fritz Langs "Metropolis" finden sich starke Referenzen zum Turmbau von Babel, auch hier symbolisiert das zentrale Hochhaus, der Neue Turm von Babel, die Überheblichkeit und die starre soziale Ordnung einer fiktiven technokratischen Gesellschaft. Der Logik der Narration folgend, nach der die in dem Film bestehende starre Ordnung aufrecht erhalten bleibt, wird auch der Turm nicht zerstört. Er symboliert hier die Suche nach Halt und stellt gewißermaßen einen 'Pfeiler der Gesellschaft' dar, der eben nicht zerstört werden darf.
    Eine andere Verarbeitung gesellschaftlicher Umwälzungen und eines politischen Neuanfangs finden sich in den klassischen japanischen Monsterfilmen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die militärische Niederlage und die Ablösung der jahrhundertealten feudalen Gesellschaft prägten hier eine Geisteshaltung der Unsicherheit und der Verwirrung. Besondere Bedeutung kam dem Schock durch den Abwurf der beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki zu, dessen Prägung in Filmen wie "Gojira" (Ishirô Honda, dt. Titel "Godzilla", 1954) nachzuspüren ist. In diesem Film taucht eine durch Atombombenversuche geweckte Riesenechse auf, die sich daranmacht, Tokio in Schutt und Asche zu legen. Besonderes Augenmerk scheint die Echse hierbei auf die Zerstörung von Hochhäusern zu legen, deren Funktion zwar keine Rolle spielt, dennoch auf der symbolischen Ebene die Überlegenheit einer höheren Gewalt und das Chaos verdeutlicht.
    Bemerkenswert ist außerdem noch, daß das "Metropolis"-Thema für ein japanisches Publikum so faszinierend war, daß ein gleichnamiger dreibändiger Manga-Comic von Osamu Tezuka 1949 erschien. 2001 von Tarô Rin verfilmt, bedeutet auch hier eine apokalytische Zerstörung des gigantischen Herrschaftsgebäude das Ende der bisherigen Weltordnung und einen symbolischen Neubeginn.
    Eine Reihe von heutigen Action- und Katastrophenfilmen greift eben diese Symbolik auf. Allerdings sind die neueren Filmen nicht Zeugnis einer tatsächlichen gesellschaftlichen Umwälzung und Neuordnung. Die Filme sind vielmehr (auch visuelle) Spekulationen, wie eine solche Zerrüttung der Weltordnung aussehen könnte und wie sie sich filmisch am besten inszenieren ließe. In Filmen wie "Independence Day" (Roland Emmerich, 1996), "Armageddon" (Michael Bay, 1998), "Deep Impact" (Mimi Leder, 1998) oder "Fight Club" (David Fincher, 1999) geht die Zerstörung von Hochhäusern mit dem Verlust der bestehenden Weltordnung und Chaos einher. In Emmerichs "Independence Day" werden die hohen Gebäude von angreifenden Außerirdischen mit Vernichtungsstrahlen zerstört, die von den im Himmel schwebenden Raumschiffen abgeschossen werden. Den zerstörten Gebäuden kommt dabei keine wichtige Funktion zu. Sie haben keine strategische Relevanz, sie beherbergen keine Kommandozentralen oder vergleichbares, sie sind einfach nur hoch und erfüllen damit ihren symbolischen Zweck.
    In Finchers "Fight Club" werden die Hochhäuser einer fiktiven amerikanischen Stadt von einer Art terroristischen/anarchistischen Gruppe durch Sprengung zerstört. Betroffen sind hauptsächlich die Hochhäuser, in denen die Zentralen der weltweiten ausgedehnten Bank- und Kreditunternehmen ansässig sind. Das Ziel dieses Aktes ist, durch die Vernichtung der Daten von Geldwerten, Vermögen und Krediten die Menschheit in Chaos zu stürzen. Diesem Chaos muß zwangsläufig ein Neubeginn folgen. Auch in den Meteoritendramen "Deep Impact" und "Armageddon" sind die Bilder der durch Himmelskörper zerstörten Hochhäuser die eindrucksvollsten Aufnahmen.

    Fazit

    Aus den exemplarisch angeführten Theorien und Beispielen des vorangegangenen Kapitels wird deutlich, daß mythisches Material in verschiedenen Medien aufgearbeitet wird. Mit der Verwendung mythisch-mythologischer Themen und Erzählmuster bekommen aktuelle mediale Texte Ebenen der Mehrdeutigkeit, die sie aus der Sphäre der reinen Unterhaltung herausheben.
    Die Ereignisse des 11. Septembers 2001 zeigen sich in ihrer tatsächlichen Realität als besonders und einmalig. Zum Einen ist es der symbolträchtige Ort, der angegriffen wurde. Zum Anderen ist es die Art, wie dieser Angriff inszeniert wurde.
    Die 110 Stockwerke hohen Zwillingstürme des Welthandelszentrums waren bereits zu 'Lebzeiten' durch ihre architektonische Einmaligkeit in Größe, Form und Gestaltung eine Art Kathedrale, die zu Ehren des amerikanischen Kapitalismus, der Wirtschaftskraft des Landes und seiner überlegenen Position stilisiert wurde. Erbaut wurde diese Kathedrale konsequenterweise in einer Stadt, die für das wirtschaftlich aufstrebende als auch für das kulturell innovative Amerika steht. New York als Zentrum der Finanzen, der Presse und der Kunst. In dieser Kombination, natürlich auch historisch bedingt, ein Zentrum einer gewissen Elite und in dieser Elite auch eine Stadt der Juden.
    Zum tatsächlichen Zerstören dieses stilisierten Wahrzeichen wurde eine Methode angewandt, die dem Symbol an sich gerecht werden sollte. Es wurde nicht durch eine Sprengung oder ein Niederreißen zerstört, wie es dem gewollten und damit geplanten Abriß eines Gebäudes zu eigen wäre, sondern das World Trade Center wurde von oben 'enthauptet'. Die Rolle der Guillotine nahmen an dieser Stelle zwei ihrem Zweck entfremdete Passagiermaschinen ein, die zudem in ihrem Wesen als Flugzeuge ein Symbol des Fortschritts sind und bestimmte Menschheitsträume in sich tragen.
    Es handelt sich um mehr, als das Kollidieren zweier greifbarer Gegenstände. Es sind zwei Konzepte, die hier aufeinandertreffen. In dem Zusammenstoß des Flugzeugs mit dem Turm kollidieren nicht nur zwei physische Objekte miteinander, sondern auch zwei realisierte Menschheitsträume.
    Der Turm gilt als Zeichen der Herrschaft und Erhabenheit, der für eine Verbindung zwischen dem Göttlichen und Irdischen steht. Dabei verkörpert der Turm zusätzlich für ein sehr starres und unbeweglich hierarchisch geordnetes System. Wie gezeigt manifestieren sich Macht und Herrschaft in der Stilisierung des Turms zu einem für diese Werte stehenden Symbol.
    Das Flugzeug bildet im Gegensatz dazu ein eigenes, dem des Turmes zum Teil entgegenlaufendes Konzept. Das Flugzeug steht genauso wie der Turm für eine Versinnbildlichung der Verbindung zwischen Irdischem und Göttlichem. Doch im Gegensatz zum Turm ist das Flugzeug nicht Bestandteil eines hierarchisches System, sondern es steht für Flexibilität und einen ständigen Wechsel der Orte und Möglichkeiten - geradezu demokratisch konnotiert. In dieser Mobilität innerhalb der Luft steht das Flugzeug für einen transistorischen Ort, der Offenheit und Allmacht verkörpert.
    Das Zusammentreffen dieser beiden Pole endet zunächst in der Vernichtung beider Konzepte, da sie zusammen nicht funktionieren können, weil sie zu gegensätzlich sind. Doch zeigt sich klar, wo das Element der Macht und der Überlegenheit wirklich liegt. Nicht die unbeweglichen Hochhäuser zeigen ihre Überlegenheit, sondern die beweglichen Flugzeuge zerstören die starren Gebäude.
    Ein weitere interessanter Aspekt ist, daß sich die Interpretation der Angriffe auf das World Trade Center auf mehreren Ebenen bewegt. Zum einen ist da die sofort herausgedeutete Ebene des terroristischen Anschlags. Damit gemeint ist das Ausüben und Verbreiten von Terror. Terror durch den unberechenbaren Angriff auf unschuldige und sich zufällig vor Ort befindende Menschen. Diese Unvorhersehbarkeit löst den Terror 'im Kopf' aus, immer und überall getroffen werden zu können nicht mehr sicher zu sein.
    Zu dem Terror kommt der hohe materielle Schaden, der durch die Zerstörung der mächtigen Gebäude entstand (verlorene Vermögenswerte in Daten, Büros, Arbeitskräfte und Arbeitszeit). Darüber hinaus bewegen sich die Angriffe des 11. Septembers gerade auch auf einer Symbol- und Mythenebene. Es geht um die Vernichtung eines Symbols, in dem sich Identität, Macht und Geschichte verdichten. Und diese Vernichtung findet in einer Inszenierung statt, die sich an gängigen Mythen der abendländischen Kultur orientiert. In dieser Inszenierung erst, die sich selbst auch als solche versteht, können so bedeutungsstarke Bilder entstehen, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurden.
    In meinen Augen ist eben diese in den Bildern enthaltene Symbolik dafür verantwortlich, daß die Bilder so stark wirken. Aus diesem Grund sind gerade diese Bilder und keine anderen zum Sinnbild des vermeintlich weltverändernden Ereignisses geworden. Die Analogie zu biblischen und mythologischen Bildern zeigt auch, daß in Bildern Potentiale enthalten sind, die direkte Wirkungen auslösen können. Das bedeutet, daß Bilder Orientierung in der Welt bieten. Von dieser Annahme ausgehend möchte ich behaupten, daß nur durch das Ansprechen dieser global bekannten, mythisch aufgeladenen Bilder, der 11. September erst zu dem Weltereignis werden konnte, welches er schließlich geworden ist. Denn erst mit diesem Verständnis der Bilder kann die Angst erklärt werden, und daß dieses Ereignis, analog zu der Bildbedeutung, für ein gewaltiges Chaos steht, welches die Weltordnung auf den Kopf stellen würde. Hätten die mythischen Bilder keine Wiederkehr in den bekannten Fernsehaufnahmen gehabt, hätte das Ereignis nicht die weltweiten Emotionen ausgelöst, wie es in diesem Fall geschehen ist.
    Es wurden apokalyptische Bilder angesprochen. Diese apokalyptischen Bilder üben, wie bereits von Althen und Seeßlen beschrieben, geradezu einen morbiden Reiz aus. Das ist auch ein Grund dafür, daß diese Bilder im Kino so erfolgreich sind. Die Bilder enthalten eine morbide Schönheit, die mit dem Versprechen aufwartet, daß nach diesen Bildern eine ganz andere, völlig neue Welt bereitstehen wird.

    "So viel ein Jahr nach der Auslöschung der Türme geschrieben worden ist: Das Rätsel ist weiterhin ungelöst. Das ist wohl auch der Grund dafür, warum bereits der erste Jahrestag des 11. September 2001 als Bildersturm immer neu einschlagender Flugmaschinen wiederkehrt. Aufklärung und Verklärung stehen vor solcher Explosionskraft noch immer ununterscheidbar nebeneinander. Die Gewissheit, dass seither alles anders ist, geht einher mit der Unfähigkeit, benennen zu können, was eigentlich anders ist." (Nutt)
    In dem apokalyptischen Mythos liegt der Gedanke einer Reinigung, nach der alles neu beginnt, alles anders wird. Im Kino mag das reizvoll sein, in der Realität löst dieser Gedanke jedoch auch Angst und Verunsicherung aus. Diese Verunsicherung bleibt, solange die Bilder in ihrem konservierten Zustand bestehen bleiben und keine wirkliche Auseinandersetzung mit ihnen stattfindet. Denn erst durch die Auseinandersetzung mit den Bildern können diese wieder Raum und Zeit gewinnen und dem Betrachter als Zeugnis von Geschichte, nicht eines apokalyptischen Mythos, veständlich werden.

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  • Der 11. September - Tag des TerrorsDatum11.09.2005 22:42
    Chronologie

    Der 11. September
    11.09.2001 Mit Flug Nr. 11 der American Airlines begann die schreckliche Anschlagserie: Um 8.45 Uhr Ortszeit raste die Boeing 767, die eigentlich von Boston auf den Weg nach Los Angeles war, in den nördlichen Turm des World Trade Centers in New York, das New Yorker Wahrzeichens der Wirtschaftsmacht USA. An Bord der Maschine befanden sich 87 Menschen.

    Um 9.05 Uhr schoss Flug Nr. 175 der United Airlines in den südlichen Tower des World Trade Center. An Bord des Flugs von Boston nach Los Angeles befanden sich 50 Passagiere und neun Crew-Mitglieder.

    9.30 Uhr: US-Präsident George W. Bush spricht in Florida von einer "nationalen Tragödie":
    "Wir haben eine nationale Tragödie erlitten. Zwei Flugzeuge sind in einem offensichtlichen terroristischen Anschlag in das World Trade Center gerast. Ich habe mit dem Vizepräsidenten, dem Gouverneur von New York und dem Direktor des FBI gesprochen, und ich habe angeordnet, dass sämtliche Mittel der Bundesregierung eingesetzt werden, um den Opfern und ihren Familien zu helfen und eine vollständige Untersuchung einzuleiten, diejenigen aufzuspüren, die diese Tat ausgeführt haben. Terrorismus gegen unser Land wird keine Zukunft haben. Nun bitte ich sie zusammen mit mir zu einer Schweigeminute. Gott segne die Opfer, ihre Familien und Amerika.''

    Eine halbe Stunde nach der zweiten Kollision hob Flug Nr. 77 der American Airlines vom Washingtoner Dulles Airport ab. Diese Maschine mit eigentlichem Ziel San Francisco stürzte um 9.39 Uhr in das Pentagon in Arlington bei Washington. An Bord waren 59 Menschen.

    Das vierte Flugzeug, das in die Terroranschläge verwickelt war, ist Flug Nr. 93 der United Airlines. Die Boing 757 mit 44 Menschen an Bord befand sich auf dem Weg von Newark bei New York nach San Francisco und stürzte um 10.10 Uhr südöstlich von Pittsburgh im Bundesstaat Pennsylvania ab. Fernsehberichten zufolge hätte diese Maschine Camp David, den Urlaubssitz der amerikanischen Präsidenten oder das Weiße Haus treffen sollen.
    Vermutlich haben Passagiere an Bord der United-Maschine durch ihr Eingreifen eine noch schrecklichere Tragödie verhindert. Das geht aus Anrufen hervor, die zwei Fluggäste per Handy kurz vor ihrem Tod führten. Einer von ihnen war nach Medienberichten vom Mittwoch Jeremy Glick. Er telefonierte mit seiner Frau, erzählte ihr von der Entführung und sagte, er und einige andere Passagiere hätten einen Plan zur Überwältigung der drei Entführer an Bord.
    Nach neuen Erkenntnissen des FBI brachten die Terroristen die Boing 757 selbst zum Absturz.

    11.02 Uhr: Der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani fordert die Bevölkerung auf, den Süden Manhattans zu verlassen.



    11.18 Uhr: American Airlines geben bekannt, dass sie zwei Flugzeuge verloren haben. Die Boeing 767 mit 81 Passagieren und elf Besatzungs-Mitgliedern ist das Flugzeug, das in den Nordturm des World Trade Centers flog. An Bord der ebenfalls vermissten Boeing 757 waren 64 Menschen.
    United Airlines geben wenig später ebenfalls den Verlust zweier Maschinen bekannt, eine stürzte auf das World Trade Center, die andere stürzte bei Pittsburgh ab.

    13.04 Uhr: US-Präsident Bush erklärt im US-Bundesstaat Louisiana, die Streitkräfte seien in "höchste Alarmbereitschaft" versetzt worden und kündigt an, die Verantwortlichen "zu jagen und zu bestrafen".

    13.27 Uhr: In Washington wird der Notstand ausgerufen.

    20.00 Uhr (MEZ) Erklärungen von Bundeskanzler Schröder zu den Terroranschlägen in den USA

    20:30 Uhr: US-Präsident George W. Bush macht in seiner Fernsehansprache der Bevölkerung Mut:

    Der russische Präsident V. Putin gibt noch am 11. September folgende Stellungnahme ab: Die USA seien „von einem nie dagewesenen Akt einer Aggression seitens des internationalen Terrorismus“ betroffen. Er, der Präsident, drücke sein „aufrichtiges tiefes Mitgefühl“ mit allen Opfern und ihren Familien aus. Die jetzige „freche Herausforderung“ (naglyj vyzov) richte sich „gegen die gesamte zivilisierte Menschheit, und jetzt würde „zum wiederholten Maße die Aktualität des Vorschlags Russlands unterstrichen, die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen den Terror, diese Pest des 21. Jahrhunderts, zu vereinen“. Russland wisse „nicht nur vom Hörensagen, was Terror ist“, und darum verstehe es nicht nur den Schmerz der Amerikaner, sondern „unterstütze“ sie auch.

    China: Staatspräsident Jiang Zemin drückt noch am 11.9. in einem Telegramm an den amerikanischen Präsidenten ein tiefes Bedauern über die Ereignisse aus und betonte, China sei gegen jede Form terroristischer Aktivität. In einem Telefonat des chinesischen Präsidenten mit George W. Bush am 12.9. erklären beide Seiten ihre Bereitschaft zu Dialog und engerer Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Diese Kooperation soll durch Konsultation der Außenminister und der Vertretungen beider Staaten bei den Vereinten Nationen gestärkt werden. China bietet außerdem den USA Unterstützung bei den Rettungsarbeiten an und wies die eigenen Vertretungen in den USA an, chinesischen Bürgern Hilfe zu gewähren.

    12.09.2001 Manhattan am Tag nach dem Inferno. Rauch und Staub sind verweht, jetzt wird das ganze Ausmaß der Zerstörung sichtbar. Außer den Zwillingstürmen des Handelszentrums sind noch fünf Nebengebäude und das Marriott Hotel zerstört, ein Dutzend andere schwer beschädigt.


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